Vampyr™ – „Männlich, ledig, Vampir, sucht…“

                                                Getestet und verfasst von General M

                                   Ab sofort erhältlich für PC, PlayStation 4 und XBOX One 

711TNqxCrtL. SL1500 Ich habe der Veröffentlichung von „Vampyr“, dem neuesten Titel der „Life is Strange“ – Macher, mit einiger Euphorie entgegen geblickt. Immerhin ist besagter Titel mit ganz knappem Abstand der bis heute zweithöchstbewertete Titel, den ich in meiner Laufbahn je getestet habe. Und seien wir mal ehrlich, Vampire sind zuletzt im Rahmen von Videospielen viel zu kurz gekommen. Der letzte große Blutsaugerhype ging nach „Vampire Bloodlines: The Masquerade“ in Sachen Gaming irgendwie verloren, und dessen Veröffentlichung liegt bald 14 Jahre zurück. Ein unhaltbarer Zustand also, dem sich die Franzosen von DONTNOD Entertainment annehmen wollten. Ob das Ergebnis denn auch taugt, oder ob wir hier blutleeren Versprechen anheim gefallen sind, klärt wie immer unser Review. 

Plötzlich Vampir

Für den renommierten Arzt, Wissenschaftler sowie Veteranen des ersten Weltkriegs, Dr. Jonathan Reid, ändert sich von jetzt auf gleich so ziemlich alles. Gerade übel zugerichtet in einem Leichenhaufen im altertümlichen London erwacht, wo gerade die Spanische Grippe unzählige Tote fordert, muss er schnell erkennen, dass er nicht länger den Lebenden angehört, sondern in einen Vampir verwandelt wurde. Dem kurz daraufhin auftretenden Durst fällt umgehend die eigene Schwester zum Opfer, welche sich ganz in der Nähe auf der Suche nach dem Vermissten befand. Um herauszufinden, wer ihm diesen Fluch aufgezwungen hat und auch, um ein wirksames Heilmittel gegen die grasierende Seuche finden zu können, übernimmt Reid die Nachtschicht in einem heruntergekommenen, aber doch engagierten Krankenhaus. 

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Dabei stehen dem unfreiwilligen Blutsauger zum Glück einige Verbündete zur Seite, darunter ein geheimnisvoller Okkultwissenschaftler sowie ferner eine weitere Vampirin. Hilfe kann der gute Doktor auch gut gebrauchen, denn in den Straßen von London treiben sich neben einer Horde Vampirjägern auch genügend andere Kreaturen herum, denen es Einhalt zu gebieten gilt. Doch selbst der freundlichste Vampir, sofern man sich denn dazu entscheidet, überhaupt einer zu sein, muss gleichzeitig auch mit den Folgen seines Daseins leben. Nicht nur, dass er extrem empfindlich gegen Sonnenlicht ist und dementsprechend ausschließlich in der Nacht zu Werke gehen kann, auch treibt ihn stets der Durst nach Blut um. Es liegt am Spieler, zu entscheiden, inwiefern er diesem Verlangen nachgehen will. Denn jede Entscheidung bietet Konsequenzen. Wird Dr. Reid die Stadt am Ende also wirklich von der Plage befreien? Oder wird er ihr düsteres Schicksal endgültig besiegeln? 

Gutes Konzept – schwache Umsetzung

Entwickler DONTNOD versucht sich hier an einem ganz speziellen Konzept. Aufgeteilt in vier düstere, aber doch abwechslungsreiche Gebiete, verfügt jeder Stadtteil von London über eine Art eigenes Gesundheitssystem, welches repräsentativ für das Wohlbefinden der dort lebenden Bürger steht. Das Ende des Spiels hängt unmittelbar davon ab, mit welchem Gesamtstatus man das Spiel beendet. Sorgt man für die Heilung der Kranken und beherrscht sich beim Aussaugen der Bürger, sieht die Sache womöglich gar nicht so schlecht aus. Lässt man die Seuche jedoch fortschreiten und saugt hemmungslos jeden leer, ist das krasse Gegenteil der Fall. Doch im System liegt weitaus mehr, als lediglich die Bestimmung des Ausgangs. Um den Feinden gewachsen zu sein, ist Reid auf das ständige Weiterentwickeln seiner Vampirfähigkeiten angewiesen. Diese schaltet man ausschließlich in sicheren Zonen, welche überall in der Stadt zu entdecken sind, via Erfahrungspunkten frei. Generiert werden diese durch das Absolvieren von Haupt- und Nebenaufgaben, siegreich bestrittenen Kämpfen, aber besonders eben auch durch das Aussagen möglichst gesunder Bürger. Im Gespräch mit denen und anderen nahestehenden Personen lassen sich oft zahlreiche Details über designierte Opfer in Erfahrung bringen, darunter auch wie sie mit Dritten in Verbindung stehen. Je mehr man letztendlich weiß, desto größer fällt beim Aussaugen auch die Erfahrungsbelohnung aus. Gleichzeitig hat das aber auch Einfluss darauf, wie die Nahestehenden dann auf den Spieler reagieren. 

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Eines der zentralen Probleme von Vampir ist jedoch, dass dieses auf dem Papier sehr ambitioniert klingende Konzept in der Umsetzung einfach nicht aufgehen will. Zu uninteressant und belanglos sind die allermeisten Bürger, als dass es einen überhaupt moralisch irgendwie kümmern könnte, wen man via Beeinflussung im erstbesten Moment ungesehen in die dunkle Ecke lockt. Auch entsteht aufgrund der Tatsache, dass man auch anderweitig genügend Erfahrung erlangen kann, um mit relativ wenig Mühe ans Ende zu gelangen, keinerlei Zwang, überhaupt jemanden um seinen Lebenssaft zu erleichtern. Zumal der Weg dorthin aufgrund der langweiligen, oft uninspiriert wirkenden Dialoge, die allesamt über ein schnödes Auswahlrad geführt werden, oft schon vorher abschreckt. Trotz der zahlreichen Einflüsterungen und Hinweise, dass man früher oder später ja doch zum Killer wird, weil es einfach der Natur des Vampirs entspricht, hat es mir nicht geschadet, dieses Element komplett außen vor zu lassen. Und dennoch bin ich am Ende zu einem zufriedenstellenden Abschluss gelangt. Ein Spiel, welches nicht imstande ist, seine zentralen Mechaniken motivierend oder nutzbringend ins Gesamtkonzept einzubinden, steht entsprechend schlecht dar. Ebenso gut kann man zum Auffüllen des Blutpegels Ratten aussaugen, oder in Kämpfen gelegentlich dem Gegner etwas Blut abzapfen. Es spielt letzendlich gar keine Rolle. Gleiches gilt scheinbar für Reid selbst, der sich viel zu schnell, ja nahezu gleichgültig mit seinem Schicksal abzufinden scheint. Hier hat man eine Menge erzählerisches Potenzial vergeudet. Und das leider nahezu überall. 

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Und wo wir bereits bei den Kämpfen sind, welche ebenfalls eine wichtige Rolle im Spiel einnehmen: Trotz verschiedener Gegnertypen gibt es selbst im Gefecht gegen mehrere davon kaum eine spielerische Herausforderung. Zwar hindert eine Ausdaueranzeige den Spieler wie bei Dark Souls daran, einfach bis zur Unendlichkeit um einen Feind herumzubeamen, fordert aber dennoch kaum Können ab. Die Angriffsmuster sind extrem schnell durchschaut und entsprechend leicht zu kontern, auch die gelegentlich auftauchenden Bosse sind viel mehr eine reine Geduldsprobe, weniger eine echte Herausforderung. Da die Gegner an ihren jeweiligen Gebieten auch stets nach einiger Zeit respawnen, wird das gesamte Kampfgeschehen schnell repetiv und somit auch sehr, sehr öde. Dabei wären die zahlreichen erlernbaren Fähigkeiten so voller Potenzial, würde man sie denn abseits gewöhnlicher Dodge, Stun & Attack – Mechaniken denn je wirklich benötigen. 

Gute Atmosphäre reicht nicht aus 

Auch dazwischen verstecken sich viele Unzulänglichkeiten im Gameplay. So gibt es zwar laufend irgendwas zu plündern, was Reid harte Währung und praktische, ebenso aber auch alchemische Komponenten einbringt, mit deren Hilfe Nahkampf- und Feuerwaffen stufenweise aufgewertet werden können, ebenso auch nützliche Tränke gebraut werden können, all das kommt aber ebenso wie vieles andere so selten zum nötigen Einsatz, dass auch dieses Element abseits der Heilung von Kranken quasi nutzlos ist. So bewegt man sich über den Spielverlauf von gut 30 Stunden durch ein atmosphärisch zwar sehr überzeugendes, wunderbar düsteres London und folgt dabei einer absolut nicht uninteressanten Hauptgeschichte, alles darüber hinaus wirkt aber viel zu inkonsequent, ja nahezu belanglos implementiert. Ich weiß nicht, woran es gelegen hat, dass DONTNOD hier nach dem legendären „Life is Strange“ in so vielen Belangen so gnadenlos ins Klo gegriffen hat. War es Überambition? Überforderung? Ich wünschte, ich könnte diese Fragen beantworten. Dass es nicht an der grundlegenden Story liegt, die wirklich frisch und unverbraucht daher kommt, muss dazu auch gesagt werden. Story kann der Entwickler. Aber für alles andere bedarf es womöglich noch einiger Übung. 

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Auch technisch kann das Spiel nicht wirklich überzeugen. Trotz Einsatz der Unreal Engine 4 wirkt „Vampyr“ oft veraltet. Die Gesichtsanimationen reißen kaum vom Hocker und wirken oftmals leblos und detailarm, gleiches gilt auch für zahlreiche Texturen im Spiel, deren gesamte Aufmachung grundsätzlich nicht so recht ins Spiel passen will. Gleichzeitig blitzen die Augen in den ungünstigen Gesprächsperspektiven immer sehr unschön auf, was eigentlich Kinderkrankheiten sind, an denen auch der Vorgänger der Engine besonders in seinen Anfangstagen arg zu leiden hatte. Hinzu gesellen sich gelegentliche Probleme bei der Kollisionsabfrage und Physik der NPC´s, die Dialoge werden oft völlig abgehakt wiedergegeben oder überspringen gar mehrere Sätze. Zudem gibt es zahlreiche Übersetzungsfehler bei den Untertiteln. Besonders schlimm hat es ingesamt die Konsolenversionen getroffen. Diese leiden nicht nur an all diesen Fehlern (wie die PC – Version auch), sondern kränkeln zusätzlich an massiven FPS – Einbrüchen jenseits unspielbarer 20 Bilder pro Sekunde und sehen zudem deutlich schlechter aus als die im Vergleich technisch wesentlich bessere PC – Fassung. Kurzum, im jetzigen Zustand kann ich vom Kauf der Konsolenfassungen nur dringend abraten. Zwar kommt auch der PC nicht ohne Macken aus, leistet sich aber bei weitem nicht so viele Schnitzer. Dafür stimmt die Bedienung auf sämtlichen Plattformen, auch der Soundtrack kann sich durchaus hören lassen, wenn er denn mal präsent in Erscheinung tritt. 

Fazit und Wertung

ava3„Ein wenig ratlos bin ich ja mittlerweile schon. Nach ´Agony´ präsentiert sich mir mit ´Vampyr“ die nächste herbe Enttäuschung im Rahmen vorher überaus vielversprechend klingender Projekte. Und das auch noch im jeweiligen Abstand von wenig mehr als einer Woche. Dabei verfügt das Spiel über so viele vielversprechende und interessante Mechaniken, die aber allesamt aufgrund der chronisch inkonsequenten Einbindung ins Spielgeschehen unfassbar viel Potenzial vergeuden. Interessantere Charaktere, abwechslungsreiche Kampfmechaniken, ein größerer Zwang zum Blutsaugen…all das hätte ungemein viel ausmachen können. So bleibt ´Vampyr´ für mich leider nur ein technisch überraschend schwaches, erschreckend oberflächlich umgesetztes Spiel, welches zwar mit einer unverbrauchten Geschichte aufwartet, aber in diesem Rahmen kaum Gebrauch von seinen Möglichkeiten macht. Die Konsolenfassungen leider darüber hinaus mehr noch als die PC – Version an drastischen Performance- und Grafikeinbußen.“

Mikrotransaktionen/Pay-2-Win: Vampyr ist ein reiner Einzelspielertitel und enthält weder Mikrotransaktionen noch fragwürdige Pay-2-Win – oder Lootbox – Mechaniken. Eine Abwertung gibt es daher diesbezüglich nicht. 

PRO:

+ Unverbrauchtes Setting
+ Vier unterschiedliche Gebiete mit Wiedererkennungswert
+ Insgesamt sehr atmosphärische Stimmung
+ Gut erzählte Hauptgeschichte mit mehreren möglichen Enden
+ Sehr solider Umfang
+ Eingängige Bedienung
+ Einfach zu erlernende Kampfmechaniken
+ Auch kleine Entscheidungen können massive Konsequenzen nach sich ziehen
+ Solide (englische) Sprecher
+ Zahlreiche Möglichkeiten, an Erfahrung zu gewinnen

CONTRA:

– Zentrales Spielelement des sozialen Systems kann fast gänzlich ignoriert werden
– Nahezu komplett uninteressante Charaktere…

– …auch der Hauptcharakter bleibt überraschend blass
– Zu viele Alternativen zum Blutsaugen führen wichtige Kernmechaniken ad absurdum
– Starre, leblose und detailarme Mimiken
– Technisch bis auf ganz wenige Lichtblicke eher enttäuschend
– Starke Grafik- und Performanceeinbußen auf den Konsolen

– Kaum anspruchsvolle Kämpfe
– Trotz verschiedener Gegnertypen leicht zu durchschauende Gefechtsabläufe
– Nervig ausdauernde Bosse
– Freischaltbare Fähigkeiten, Waffenarsenale und Verbesserungen kaum notwendig
 

                      GESAMTWERTUNG:     62% (PC)
                                                58% (Konsolen)

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