Ein Urlaub der besonderen Art
Die Gelegenheit zum Ausspannen nimmt Hans aber trotzdem gerne wahr. Schließlich hockt der Physikstudent an einer wichtigen Arbeit und kann dringend etwas Ruhe vertragen. Doch dann kommt natürlich alles anders: Erst stiehlt ein Unbekannter mitten in der Nacht Hans´ Arbeit, dann trifft er auch noch auf die Forscherin Gretchen, die in und um Trüberbrook nach preisverdächtigen Entdeckungen auf dem Gebiet der Anthropologie (das ist die Lehre vom Menschen, überaus spannend!) Ausschau hält. Das ungleiche Duo schließt sich kurzerhand zusammen und kommt über Umwege nicht nur einer handfesten Verschwörung um eine verlassene Silbermine auf die Spur, sondern entdeckt nebenbei auch gleich noch ein Portal zu Raum und Zeit. Also ein wirklich stinknormaler Urlaub…
In seinen besten Momenten erinnert das unter der Federführung von Florian Köhne entstandene Adventure an eine Mischung aus David Lynch und Tim Schaefer. Der eine ist ein Meister der Surrealen, der andere ein Meister des Point and Click – Genres. Trüberbrook erzählt eine motivierend fortschreitende Geschichte mit Mysteryelementen, überraschenden Twists und viel Humor, die zudem immer mal wieder mit kleinen Referenzen zu Legenden wie Monkey Island und Co. aufwartet und die bis zum Finale nicht langweilig wird. Die große Schwäche des Spiels liegt in zweierlei Ebenen verborgen. Einerseits ist das Spiel bis auf ganz, ganz wenige Ausnahmen extrem leicht ausgefallen und bietet so gut wie keine Kopfnüsse, die es in Form von Rätseln zu knacken gilt, andererseits können findige Gamer bereits nach gut vier Stunden den Abspann über den Bildschirm flimmern sehen. Trüberbrook ist ein leider viel zu kurzes Spiel. Gerade, wo ich mich in der liebevoll gestalteten Welt richtig zu Hause gefühlt habe, musste ich sie auch schon wieder verlassen. So sind Urlaube im wahren Leben ja oft auch. Was bleibt, sind aber viele schöne Erinnerungen.
A Gaudi!
Wie viel Liebe zum Detail die Macher beweisen, erkennt man schon sehr früh. Nicht nur, dass Trüberbrook extrem atmosphärisch daherkommt, auch bemüht es sich zu jedem Zeitpunkt darum, die Geschichte möglichst rational und ganz ohne zu viel Sahne auf der Torte nachvollziehbar zu gestalten, auch die herrlich konträren Charaktere wachsen einem schnell ans Herz. Protagonist Hans ist eine angenehm kauziger und hochintelligente Figur, die in dieser Form bisher noch nie so sympathisch in einem Spiel dargestellt wurde. Es müssen eben nicht im Möchtegernpiraten und peitschenschwingende Archäologen sein. Und auch die von Nora Tschirner adäquat vertonte Gretchen weiß zu gefallen (die Lara Croft werde ich ihr trotzdem nie so ganz verzeihen können). Auch Jan Böhmermann ist in einer Sprechrolle zu hören – auf Wunsch sogar auf Englisch, denn bis auf die Hauptfigur werden sämtliche Figuren von den deutschen Sprechern wahlweise auch mit englischem Ton versehen.
Und obwohl die Rätsel meist durchschaubar sind und somit recht einfach zu lösen, sprüht Trüberbrook in der Gestaltung dieser Aufgaben voller Abwechslung. Nichts fühlt sich repetiv an, stattdessen hat man immer das gute Gefühl, dass einen alles immer irgendwie nach vorne bringt. Da kann man guten Gewissens darüber hinwegsehen, dass einem das Spiel anders als viele andere Genrevertreter keinerlei Hilfen an die Hand legt. Ohne Inventar und große Auswahl bei der Kombination von aufgesammelten Items mit der Umgebung ist das einfach nicht nötig. Trial and Error gibt es höchstens später mal in ein-zwei Momenten, aber auch das kann man verzeihen. Nett: Statt sich in ewigen Selbstgesprächen über das Betrachten der Umgebung zu verlieren, zückt Hans in passenden Momenten einfach sein Diktiergerät und hält seine Gedanken für die Daheimgebliebenen in Tonform fest. Der Immersion tut das sehr gut. Gelegentlich auffindbare Zeitungen informieren zudem über das HOCHBRISANTE Alltagsgeschehen des Örtchens, welches sich inmitten der Feiern zum neunhundertachtundneunzigjährigen™ Bestehen befindet. Witzig sind die jeweiligen Artikel allemal.
Humor versteckt sich tatsächlich überall, nicht nur in Form von Referenzen. Wenn Hans beispielsweise versucht, sich von der kürzlich verlassenen Besitzerin seiner Pension den zuvor als Pfand eingetauschten Massagestab zurückzuholen, diese aber offenbar so sehr von dessen Vorzügen begeistert ist, dass sie nur noch eine Vogelpfeife rausrücken will, ist das beste Situationskomik. Auch das Einfangen einer mürrischen Katze verkommt zum lustigen Spießrutenlauf, der am Ende nur dank einer Hochspannungsleitung erfolgreich beendet werden kann. Es lohnt sich immer, sich durch die vielen schön vertonten Dialoge zu klicken und den Geschichten der Bewohner zu lauschen – dafür belohnt einen das Spiel nicht nur mit jeder Menge Gelächter, sondern auch mit diversen Achievements. Seit den letzten großen Adventures von Daedalic konnte mich ein Adventure diesbezüglich nicht mehr so sehr begeistern wie es Trüberbrook getan hat.
Wie gemalt
Die kunterbunte Mischung aus Science Fiction und Landleben wird durch die Unity Engine zum Leben erweckt, die sich in der Vergangenheit für genau solche Projekte stets angeboten hat, gleichzeitig aber nie Erwartungen auf ein Grafikfeuerwerk wecken konnte. Was Trüberbrook so einen einzigartig charmanten Look verleiht ist die Machart dahinter. Sämtliche Assets wurden nämlich nicht einfach digital generiert, sondern vorher aufwändig in Form von Miniaturen erstellt und dann als eingescannte Texturen auf die Objekte und Figuren im Spiel übertragen. Das Resultat sieht nicht nur wunderbar aus, sondern erinnert auch stets sehr an die Arbeiten der britischen Aardhouse Studios, die immerhin durch ihre Stop Motion – Animationen berühmt geworden sind.
Dennoch zeigt sich die Engine wie immer genügsam in ihren Anforderungen, denn selbst ältere Hardware sollte keine Mühe damit haben, das Geschehen geschmeidig auf den Bildschirm zu zaubern. Selbst der native 4K – Support verlangt kaum nennenswerte Mehrleistung, bietet aber dafür einen deutlichen Mehrgewinn in Sachen Bildqualität. Natürlich sieht Trüberbrook auch in niedrigeren Auflösungen prima aus. Über die Sprecher wurde ja bereits einiges gesagt, dafür blieb der Soundtrack bisher konsequent außer Acht.
Der fügt sich mit seinen ruhigen, gelegentlich angenehm blueslastigen Klängen perfekt ins Setting ein. Gleichzeitig untermalen die jeweiligen Tracks stets auch die Tatsache, dass es in diesem verträumten Ort ein großes Geheimnis geben muss. Und sogar eine gelungene Gesangseinlage darf bestaunt werden. Toll! Wenig zu berichten gibt es abschließend zur Bedienung: Mehr als eine Maus braucht es nicht. Das ist die Essenz des Point and Click – Adventures, das ist, was Trüberbrook auch hier bestens einfängt.
Fazit und Wertung
„Kennt ihr das, wenn man gerade von einem Kurztrip zurückkehrt und sich denkt: ´Also da hätte ich guten Gewissens noch ein paar Wochen bleiben können´? Trüberbrook bietet genau dieses Gefühl, nur eben in Form eines mit enormer Liebe zum Detail inszenierten Adventures nach alter Schule, aber voller frischer Impulse. Denn obwohl der Ausflug in´s Bayern der Sechziger Jahre leider extrem kurz ist und die grauen Zellen nur selten fordert, hatte ich irre viel Spaß mit Hans, Gretchen und Co. Das liegt nicht vor allem an der hübschen Aufmachung, der kreativen Story und den wunderbaren Charakteren, aber auch dem subtilen Witz. Ich hoffe wirklich, dass die Macher mit dem Spiel einen Erfolg feiern! Nicht nur, dass dieser absolut verdient wäre, er würde ebenso auch die Grundlage für Nachschub legen. Der darf dann aber ruhig etwas länger und anspruchsvoller ausfallen. Davon abgesehen: In Trüberbrook würde ich sofort wieder Urlaub machen!“
Pay-2-Win/Miktrotransaktionen: Trüberbrook enthält keinerlei kostenpflichtige Zusatzinhalte oder Möglichkeiten, sich gegen Echtgeld spielerische Vorteile zu verschaffen. Eine Abwertung findet daher diesbezüglich nicht statt.
PRO:
+ Liebevoll in Szene gesetzte Areale
+ Tolle Kombination aus ländlicher Atmosphäre und Science Fiction – Elementen
+ Motivierend erzählte Story
+ Teils märchenhaft malerische Beleuchtung
+ Liebenswerte Charaktere…
+ …die zum Nachfragen und Zuhören animieren
+ Subtiler, aber sehr effektiver Humor
+ Viele Anspielungen auf bekannte Franchises
+ Abwechslungsreiche, meist nachvollziehbare Rätsel
+ Zugängliche Bedienung
+ Gute deutsche Sprecher
+ Stimmiger Soundtrack
CONTRA:
– Sehr kurz
– Spielerisch so gut wie nie fordernd
GESAMTWERTUNG: 8.6/10
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