Pokémon Schwert & Schild – „Faszination und Stagnation“

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                                                      Getestet und verfasst von General M 

81vluljcxML. SL1500 Ob Regierungen, Modetrends oder die Wartezeit auf den Lieferdienst, allesamt haben sie gemein, dass sie irgendwann einmal enden. Anders dagegen scheint es den Pokémon zu ergehen. Schon seit über zwanzig Jahren begeistert die Monsterjagd in allen möglichen Formen und Farben seine Fans – und hat sich längst zu einem Multimilliardendollar-Franchise gemausert. Mit Pokémon Schwert & Schild dürfen Fans nun ein ganz neues Abenteuer auf der Nintendo Switch erleben, welches sich anders als Pokémon Let´s Go Evoli & Pikachu zwar wieder in klassische Gefilde bewegt, dabei aber natürlich auch zahlreiche Neuerungen verspricht. Wir haben die beiden Neuzugänge zum kaum noch überschaubaren Spieleangebot umfangreich für Euch getestet und geklärt, ob nach all den Jahren immer noch Luft im Reifen ist oder ob der Hype langsam zum Erliegen kommt. 

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Commander of the Pokémon Empire  

Die Überschrift lässt vielleicht schon vermuten, in welche Gefilde euch Pokémon Schwert & Schild verschlagen, denn die neue Region mit dem irgendwie nach Dessert klingenden Namen Galata erinnert in Aufbau und Design sehr an das gute alte Großbritannien, hier allerdings ganz ohne Brexit und derlei Probleme. Das merkt man nicht nur an der Stadtgestaltung, die moderne und viktorianische Baukunst homogen miteinander vermengt, auch über die zehn Routen hinweg sind die visuellen Einflüsse deutlich und sorgen zumindest optisch für ein bisschen frischen Wind. Hier arbeiten Pokémon Hand in Hand mit den Menschen zusammen, ob nun in den großen Industrieanlagen oder auf dem Land. Solange am Ende des Tages eine gute Tasse Tee auf einen wartet, ist die Welt noch in Ordnung. Den ganz besonderen Gegebenheiten der Region haben sich die Pokémon längst angepasst, weshalb es in Galata neben vielen einzigartigen Monstern auch ganz spezielle Varianten bereits bekannter Kreaturen gibt.

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Das lockt nicht nur neugierige Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt an, sondern natürlich auch angehende wie bewährte Trainer. Wahlweise als Junge oder Mädchen verlassen wir einmal mehr das Elternhaus auf dem beschaulichen Land, um uns an die Spitze der regionalen Liga zu kämpfen und ganz nebenbei mit einem vollständigen Pokédex angeben zu können. In Sachen Grundaufbau darf man von Schwert & Schild keine Neuerungen erwarten, stattdessen bauen die Macher auf die gleiche Grundformel, die bereits seit Jahrzehnten wieder und wieder aufgetischt wird. Dass die trotzdem immer noch funktioniert liegt einfach daran, dass die Geschichte genau wie unser Charakter selbst eigentlich keine nennenswerte Rolle spielen, denn die Hauptdarsteller sind natürlich einmal mehr die zahlreichen fang- und trainierbaren Pokémon. Acht Arenaleiter, jede Menge überall lauernder Trainer und die Gefahren im hohen Gras müssen erfolgreich bezwungen werden, ehe man sich schließlich zum Besten der Besten von Galata krönen lassen kann.

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Ist das allerdings erstmal geschafft, wissen einem Schwert & Schild leider nur noch sehr wenig zu bieten. Wer wenig Wert darauf legt, seinen Pokédex zu vervollständigen oder sich via Mehrspielermodus mit anderen Spielern gegen die neuen Dynamax-Varianten zu behaupten, wird möglicherweise enttäuscht. Allerdings hat sich die Reihe immer zentral an das Commitment seiner Spieler gerichtet, besonders natürlich an leidenschaftliche Komplettisten. Und nur die werden mit den neuen Ablegern auch einen angemessenen Umfang vorfinden, während alle anderen auch mit einem wenigstens halbwegs flexiblen Team mühelos das Ziel erreichen sollten. Spielerisch sonderlich anspruchsvoll sind nämlich auch die Neuzugänge im Franchise einmal mehr nicht geworden. 

Die Definition von Umfang

Insgesamt 81 neue Pokémon feiern mit Schwert & Schild ihr Debüt, dazu gesellen sich 13 einzigartige Varianten bekannter Kreaturen. Damit wächst die Gesamtzahl der Pokémon auf mittlerweile über tausend verschiedene Monster heran. Allerdings sind die nicht alle in den Spielen enthalten. Mit insgesamt 400 verschiedenen Pokémon bieten Schwert & Schild zwar die höchste Grundausstattung aller Zeiten, damit fehlt allerdings immer noch weit mehr als die Hälfte des kombinierten Pokédex. In der Vergangenheit ließ sich das Problem dank Abwärtskompatibilität zu älteren Spielen dank Tausch und Handel stets prima lösen, nun jedoch laufen die Dinge leider etwas anders, denn das beliebte Feature zum Auffüllen wurde von den Entwicklern mit der Begründung von Speicherkapazitäten ersatzlos gestrichen. 

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Die Fans waren darüber natürlich alles andere als begeistert, weswegen Nintendo vor und seit Release vor allem im Netz einen Shitstorm nach dem anderen kassiert. Alleine durch die Tatsache, dass Schwert & Schild weder Daten noch Modelle zu den übrigen Pokémon erhält, sorgt dementsprechend von Anfang an für unüberwindbare Restriktionen. Dabei wirkt die Liste von verfügbaren und gestrichenen Pokémon extrem willkürlich. Alleine die erste Generation bis einschließlich der Nummer #151 weist tonnenweise klaffender Lücken auf. Während es Glumanda auch nach Galata geschafft hat, muss man beispielsweise auf Schiggy und Bisasam inkl. deren jeweiligen Entwicklungsformen verzichten. Und alleine diese Tatsache stellt für viele langjährige Fans bereits ein unverzeihliches Sakrileg dar, besonders weil Let´s go Pikachu & Evoli doch bereits die ganze erste Generation mit neuen Modellen angeboten hat und deren Übertragung ein leichtes gewesen wäre. Außerdem, dank Speicherkarten in allen Größen sollten Platzprobleme doch ebenfalls kein Problem mehr sein. Was das angeht, haben sich die Macher dieses Mal fürwahr nicht mit Ruhm bekleckert. Und nach allem was man so munkelt, soll die Wahrheit hinter den Kulissen deutlich finsterer aussehen. Aber das sind nur Gerüchte, auf die wir uns hier deswegen auch nicht stürzen wollen. 

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400 Pokémon sind ja trotzdem eine stolze Zahl, auf die man es auch erstmal bringen muss. Dabei gibt es zwischen den beiden Versionen natürlich auch wieder einzigartige Monster, an die man nur via Tausch mit Besitzern der anderen Edition gelangen kann, inklusive den beiden legendären Neuzugängen Zacian und Zamazentas. Identisch dagegen sind die neuen Starter. Egal ob Schwert oder Schild, ihr beginnt das Spiel wahlweise mit Pflanzenpokémon Chimpep, Feuerpokémon Hopplo oder Wasserpokémon Memmeon (mir ist übrigens bewusst, dass in diesem Review sehr oft das Wort „Pokémon“ vorkommt). Die knuddeligen Starter wissen zu gefallen und entwickeln sich später in durchaus imposante Formen weiter. Generell haben die Macher dankbarerweise beim Design der neuen Kreaturen wieder etwas mehr zurück zu den Wurzeln gefunden und sich statt zu fantasievollen Schöpfungen weitestgehend eher in bodenständigere Richtungen mit besonderem Fokus auf Galata und dessen Gegebenheiten orientiert. Dadurch sind dieses Mal wesentlich einprägsamere Pokémon entstanden, was ich als Fan der älteren Generationen absolut begrüße. Der bitte Nachgeschmack über das alternativlose Beschneiden beim Gesamtumfang bleibt aber dennoch erhalten. 

Natur pur

Eines der wichtigsten neuen Gebiete auf Galata stellt die sogenannte Naturzone dar. Hier tummeln sich nicht nur die allermeisten wilden Pokémon, sondern je nach Tageszeit und Wetterlage immer auch ganz unterschiedliche Typen, die nur darauf warten, in euren Pokébällen zu landen. Zwischen der abwechslungsreichen Flora und Fauna lässt es sich darüber hinaus auch ganz vorzüglich leveln, weil alle paar Meter schon der nächste Gegner im Gras oder auch mitten auf der Straße auf einen Kampf wartet. In der Naturzone hat man dann auch am ehesten das Gefühl, sich durch eine waschechte Open World zu bewegen. Zwar läuft man hier natürlich früher oder später (via Fahrrad eher früher) unweigerlich gegen Grenzen, dank ausschließlich in der Zone frei beweglicher Kamera entsteht aber trotzdem ein ganz neues Gefühl von Freiheit im Rahmen sämtlicher bisheriger Ableger. Umso mehr schmerzt es, dass man sich außerhalb der Naturzone wieder mit fixierten Kameraperspektiven arrangieren muss. 

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Die Rückkehr in das Areal lohnt sich aber trotzdem, denn neben praktischer Anbindung an weite Teile von Galata lassen sich abseits der Arena nur dort die neuen Dynamax-Kämpfe austragen. Die ersetzen in Schwert & Schild die Z-Attacken und Megaentwicklungen. Stattdessen dürft ihr nach Erhalt des dazugehörigen Items sowie genügend angesammelter Energie nun pro Kampf ein Pokémon eurer Wahl dynamaximieren. Damit geht nicht nur ein immenser Größenanstieg einher, auch die Attacken richten über die Dauer von drei Runden besonders hohen Schaden an. So richtig vom Hocker gehauen hat mich das neue Feature allerdings nicht. Klar, ansehnlich sind die turmhohen Kreaturen bei den ersten paar Malen definitiv, allerdings stellt sich mit der Zeit eben auch schnell ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Da haben die gestrichenen Alternativen der Vorgänger irgendwie mehr gerissen. Seltener, aber dafür wirklich spetakulär sind die Gigadynamaximierungen (ich weiß, das ist ein schweres Wort). 

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Die lassen sich aber nur mit ganz viel Glück hervorrufen und dann auch nur bei erfolgreich gefangenen Raid-Dynamax-Pokémon. Den besonders starken Kreaturen könnt ihr euch ausschließlich im Verbund stellen, wobei wahlweise drei NPC´s oder drei echte Mitspieler via Onlinemodus aushelfen. Das klingt anspruchsvoll, ist aber besonders zum Ende hin mit einem kampfstarken Verbund eigener Pokémon relativ problemlos zu bewältigen. Bei den restlichen Mehrspieleroptionen setzen die Macher eher auf Bewährtes. Gelegentlich neue Turnierherausforderungen, untereinander austragbare Kämpfe und Co. gab es auch in den Vorgängern, verzichten muss man darauf in Schwert & Schild ebenfalls nicht. Ein paar neue Ideen hätten aber nicht geschadet. Erschwerend kommt vor allem auf der Switch der Umstand hinzu, dass dank Nintendo´s weiterhin frustrierend umständlicher und aussetzungsanfälliger Onlinekomponente besonders das Suchen und Finden bestimmter Mitspieler ohne generierten und außerhalb geteiltem Code zur Zerreißprobe gerät. 

Faszination gegen Stagnation

So sehr man den Spielen zugute halten muss, dank motivierender Sammelwut immer noch eine gewisse Faszination zu bieten, so sehr stagniert die Reihe auch mit Schwert & Schild in anderen Bereichen weiterhin. Ein paar Erleichterungen wie das mobile Campen und Kochen von Speisen, die unabschaltbare Aufteilung von Erfahrungspunkten an das komplette Team und vor allem die dringend nötige und nun endlich umgesetzte Reformierung bei der Bedienung (ganz besonders den Fangmechaniken) sind ja ganz nett. Und Galata ist ohne Zweifel die abwechslungsreichste und ansehnlichste neue Region seit vielen Jahren. All dem steht aber eine kaum mehr zeitgemäße Technik gegenüber. Zwar haben es mit den vielen neuen Pokémon auch zahlreiche neue Animationen ins Spiel geschafft, deren jeweilige Darstellungsqualität schwankt aber von „verdammt cool“ bis zu „verdammt uninspiriert“ munter hin und her. Dass die Nintendo Switch technisch deutlich mehr auf dem Kasten hat, beweisen mittlerweile zahlreiche Titel. Pokémon Schwert & Schild gehören nicht dazu. 

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Denn während es an der sowohl im Handheld- wie auch im Dockmodus stets stabilen Performance nichts zu meckern gibt, wirkt das Spiel insgesamt einfach nicht mehr zeitgemäß. Kein Wunder, denn das Technikgerüst ist dasselbe, dass bereits seit Jahren auf dem 3DS zum Einsatz gekommt, von einigen Erweiterungen einmal abgesehen. Der große Sprung nach vorne bleibt leider aus, was sich besonders abseits der Städte in klobiger, texturarmer Vegetation zeigt. Auf dem großen Bildschirm natürlich umso deutlicher. Die Reihe ist längst überfällig für ein komplettes Rework á la The Legend of Zelda: Breath of the Wild, dessen Stärken quasi all jene sind, die sich Fans auch vom Pokéfranchise bereits seit dem Debut der mobilen Konsole gewünscht haben, nur um mit Schwert & Schild diesbezüglich einmal mehr enttäuscht zu werden. Es hat alles seinen Charme, auch weil die Pokémon wirklich liebevoll in Szene gesetzt werden, aber wenn so vieles andere wie aus einer anderen, längst vergangenen Zeit wirkt, rettet das den eher mittelmäßigen optischen Gesamteindruck nicht wirklich. 

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Beim Sounddesign verhält sich die Sache ziemlich identisch. Tolle Kreaturensounds und ein gewohnt atmosphärischer aber wenig innovativer Soundtrack mischen sich mit vielen verpassten Gelegenheiten für eine optimale Klangimmersion. Die weiterhin mangelnde Dialogvertonung trägt dazu maßgeblich bei und beraubt gerade die Kämpfe in den Arenen viel grundlegender Immersion. 

Fazit und Wertung

55957770 2311144785603906 1491509483245928448 o„Auch nach zwanzig Jahren und einer seitdem nur marginal veränderten Gameplayformel macht die Jagd nach den Pokémon immer noch eine Menge Spaß. Schwert & Schild ist es allerdings trotz sinnvoller Erweiterungen in den Bereichen Komfort und Design nicht gelungen, mich vollständig abzuholen. Technisch sind die neuen Ableger nicht mehr als gutes Mittelmaß, der mehr als halbierte Pokédex ohne Auffülloption ist in der Begründung fadenscheinig und lässt viele Fragen offen und das neue Dynamax – Feature nutzt sich schnell ab, zumal sich am regulären Spielprinzip dadurch nicht wirklich etwas ändert. Nun haben die Macher endlich den kompletten Sprung auf die Switch gewagt, am Ende jedoch verpasst, mehr abzuliefern als ein nur wenig bedeutsam weiterentwickeltes Spiel im altbekannten 3DS – Look. Da wäre deutlich mehr machbar gewesen. Und deutlich mehr muss beim nächsten Ausflug in das Monsteruniversum auch kommen. Anderenfalls droht Gefahr, auch hartgesottene Trainer irgendwann zu langweilen. Bis dahin liefern Schwert & Schild solide, aber eben nicht überragende Beschäftigung.“

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PRO:

+ Stellenweise hübsch in Szene gesetzte Galar-Region…
+ …die sich visuell angenehm von den Vorgängerregionen abhebt
+ Hüsche, detailverliebte Kreaturenmodelle
+ Stabile Performance im Handheld- und Dockmodus
+ Trotz Beschneidungen immer noch der bisherige größte Grundumfang an Pokémon
+ Angenehm bodenständig designte Neuzugänge mit Erinnerungswert
+ Gut an die Welt angebundene Naturzone als nützlicher Anlaufpunkt für viele Belange
+ Monsterjagd motiviert auch nach zwanzig Jahren wie eh und je
+ Sinnvolle Bedienungserleichterungen, besonders beim Fangen 
+ Zugängliche Steuerung, egal ob via Joy Con´s oder Gamepad
+ Sehr einsteigerfreundliches Gameplay
+ Passender Soundtrack

CONTRA:

– Erzählt im Grunde einmal mehr die immer gleiche Geschichte
– Nutzt die technischen Möglichkeiten der Switch zu keinem Zeitpunkt auch nur im Ansatz aus
– Teilweise stark schwankende Animationsqualität
– Dynamax-Komponente nutzt sich schnell ab…
– …und stellt keinen gleichwertigen Ersatz zu Z-Attacken und Mega-Entwicklungen dar
– Weit über die Hälfte bekannter Pokémon fehlen…
– …ohne Option zur anderweitigen Vervollständigung
– Insgesamt nur sehr wenige neue Ideen
– Spielerisch nie wirklich fordernd
– Weiterhin nur Volltext statt adäquater Dialogvertonung
–  Kaum nennenswerte Inhalte nach Abschluss der Story
– Unnötig kompliziertes Auffinden von anderen Spielern
– Generell problemanfällige Onlinekomponente

 
                                              GESAMTWERTUNG:     7.9/10

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