Digimon Survive – „Des einen Freud, des anderen Leid“

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                                                           Getestet und verfasst von Exe

81MED4SlB9L. SL1500 Bereits seit Jahrzehnten streiten die Fans über die Frage, welches Franchise cooler ist: Pokémon oder Digimon. Und obwohl man auf den ersten Blick zahlreiche Ähnlichkeiten zwischen den ewigen Konkurrenten entdecken kann, wissen Kenner natürlich um die zentralen Unterschiede. Kein Wunder also, dass sich um beide Formate weltweit gewaltige Fangemeinden scharren. An Nachschub mangelt es jedenfalls nicht, neben Serien und Filmen dürfen sich Liebhaber auch immer wieder über neue Games freuen. Mit dem brandneuen Digimon Survive will sich das Studio Hyde nun von bereits bekannten Titeln abheben. Das Ergebnis ist definitiv nichts für lesefaule Gamer. 

                         Hinweis: Sämtliches Bildmaterial wurde mit der PC-Version erstellt. 

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Narnia lässt grüßen

Einige ruhige Tage auf dem Land, für die Teenies aus der Großstadt klingt das nach einer wunderbaren Abwechslung vom regulären Schulalltag. Mehrere Klassen aus verschiedenen Teilen des Landes haben sich in Begleitung ihrer Lehrer versammelt, um gemeinsam inmitten der unberührten Natur zu entspannen. Als die rasch anwachsende Gruppe um Takuma Momozuka erfährt, dass die Einheimischen im dichten Waldgebiet einen Tempel zu Ehren der Kemonogami („Biestgötter“) errichtet haben und alsbald ein großes Festival rund um den Lokalmythos abgehalten werden soll, ist die Neugierde rasch geweckt. Vor Ort scheint jedoch irgendwas nicht mit rechten Dingen vorzugehen. Erst beginnt es mitten in der warmen Jahreszeit zu schneien, dann treffen die Reisenden auch noch auf ein ihnen völlig unbekanntes Wesen mit Namen Koromon. 

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Ehe man Zeit für ein näheres Kennenlernen hat, werden die Teenager auch schon von weniger freundlich gesinnten Monstern attackiert. Zum Glück gelingt es Koromon gerade rechtzeitig, sich zu Argumon weiterzuentwickeln und die Angreifer zu verscheuchen. Spätestens jetzt wird allen klar, dass sie in einer fremden Welt gestrandet sind, in der Kreaturen jenseits aller Vorstellungskraft existieren – und nicht alle davon sind den verwirrten Neuankömmlingen freundlich gesinnt. Bei der Suche nach einem Weg zurück nach Hause muss sich die völlig verschiedene Gruppe gemeinsam mit den verbündeten Digimon immer neuen Herausforderungen und Kämpfen stellen, aber auch auf menschlicher Ebene warten mit der Zeit Konflikte, die erfolgreich gelöst werden müssen. In einer Welt, wo die Jugendlichen fast komplett auf sich gestellt gegen eine feindliche Umwelt ankämpfen müssen, kann jede falsche Entscheidung zu verheerenden Konsequenzen führen…inklusive dem Tod. 

Nicht für jeden Geschmack

Bei so viel negativem Feedback, wie gegenwärtig über das Spiel hereinbricht, sollte man denn da überhaupt einen Blick riskieren? Definitiv, wenn man sich vorher klar macht, mit welchem Genremix man es bei Digimon Survive zu tun kriegt. Die Macher haben bereits lange vor Release kommuniziert, dass es sich bei dem Titel um eine Visual Novel mit Anteilen eines taktischen Rollenspiels handelt, NICHT umgekehrt. Wühlt man sich durch die zahlreichen Nutzerrezensionen im Netz wird ziemlich schnell klar, dass ein Großteil der Beschwerden daher rührt, dass man sich im Vorfeld nicht richtig über das Genre informiert hat. Klar ist aber auch, dass alljene, die hier eine Fortsetzung zu Digimon Story: Cyber Sleuth oder gar eine Neuauflage des immer noch beliebten Digimon World erwarten, erstmal ein bisschen Material studieren sollten, um nicht im gleichen Sumpf der Unwissenheit zu versinken wie die Meckerfritzen auf Metacritic und Co. 

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Betrachtet man das Spiel dagegen als das, was es ist und ebenso auch als das, was es sein will, sieht die Sachlage gleich ganz anders aus. Als Visual Novel kann Digimon Survive absolut überzeugen und zählt in meinen Augen sogar zu den besten Genrevertretern überhaupt – zumindest gemessen an den wenigen ähnlichen Titeln, die ihren Weg in den Westen schaffen. Die Geschichte ist von Anfang bis Ende spannend wie wendungsreich geschrieben und dabei gleichzeitig überraschend düster geraten. Damit treffen die Macher den Kern der Vorlage perfekt. Gleichzeitig agieren die Digimon hier nicht als bloße Begleiter, sondern präsentieren sich als ernstzunehmende Charaktere mit eigenen Persönlichkeiten, welche auf einer Stufe mit den menschlichen Protagonisten stehen. Auch das ist ein wichtiger Aspekt, den viele andere Versoftungen viel zu oft ignoriert haben. So fühlt man mit dem Schicksal der Kreaturen über Zeit ebenso mit wie mit dem der Gestrandeten. 

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Gute dreißig Stunden vergehen im Schnitt bis zum Abspann, bis dahin solltet ihr euch aber auf eine Menge Lesestoff gefasst machen. Alleine bis die Teenager in der Welt der Digimon ankommen, vergeht weit über eine Stunde Spielzeit. Digimon Survive nimmt sich viel Zeit, um die Charaktere samt deren Persönlichkeiten vorzustellen. Gemessen am schieren Umfang des Textteils sind Kämpfe innerhalb der Story eher rar gesät. Bis man sich überhaupt in der ersten Auseinandersetzung wiederfindet, muss man zunächst den gesamten Prolog absolvieren – und der dauert. Erst danach geht der Mix aus taktischen Kämpfen und Visual Novel langsam auf, wobei letzteres wie bereits erwähnt nur einen sehr kleinen Anteil am Gesamtgeschehen einnimmt. Dafür wirken sich die innerhalb der Dialoge getätigten Entscheidungen massiv auf das weitere Spielgeschehen aus und kann im Worst Case sogar im Ableben unserer Mitgestrandeten resultieren. 

Kämpfen mit Köpfchen

Kenner eines Final Fantasy: Tactics werden sich in den Kämpfen von Digimon Survive sofort heimisch fühlen. Anfangs noch überschaubar, mausern sich die Auseinandersetzungen zwischen den Kreaturen mit stetigem Fortschreiten der Story zu durchaus fordernden Getümmeln, in denen jeder Zug und jede Aktion wohlüberlegt sein wollen. Unsere Mitstreiter verfügen allesamt über ein persönliches Digimon und unterstützen uns damit im Kampf. Haben wir über die Dialoge eine besonders starke Bindung zu den Mitstreitern aufgebaut, dürfen wir uns nicht nicht über besondere Buffs freuen, sondern schalten gleichzeitig das Feature der Digivolution frei, mit denen sich kurzzeitig neue, weit mächtigere Formen der Kreaturen ins Feld schicken lassen.

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Dank guter Tutorials und einer angenehmen Lernkurve gelingt der Einstieg in den eher praktischen Teil des Spiels sehr gut. Lediglich die Gesamtzahl der enthaltenen Digimon ist gemessen an der gegenwärtig gewaltigen Anzahl von fast eintausendfünfhundert Kreaturen eher enttäuschend ausgefallen – nicht einmal ein Zehntel davon hat es in das Roster geschafft. Neue Begleiter rekrutieren wir im Free-Battle-Modus, wobei sich innerhalb von Dialogoptionen die Chance erhöhen lässt, die Kreatur unserer Begierde für unsere Zwecke gewinnen zu können. Alles in allem fühlt sich die Mechanik aber ziemlich zufallslastig an und hat mir persönlich selten die gewünschten Erfolge beschert. Komplettisten dürfen sich jedoch schonmal darauf einstellen, eine ganze Menge Zeit zu investieren, um wirklich jedes einzelne Digimon in seine Reihen zu überführen. 

Zweieinhalbdimensional

Grafisch geht Digimon Survive absolut in Ordnung. Im Textteil überzeugen besonders die detailverliebten Charaktere, die guten (ausschließlich japanischen) Sprecher tragen inklusive des tollen Soundtracks viel zur Atmosphäre des Spiels bei. Lediglich die dreidimensionalen Umgebungen wirken mitunter ziemlich spartanisch und nicht mehr zeitgemäß, auch in Sachen Effekte kann der Titel kaum beeindrucken. Die Zwischensequenzen wurden direkt bei TOEI Animation erstellt und fügen sich nahtlos ins Geschehen ein – leider plattformübergreifend nur in stark komprimierter Form. Die Szenenwechsel gehen schnell von der Hand und wenn doch mal geladen wird, muss man dafür selbst auf der Nintendo Switch nur wenige Augenblicke überbrücken. 

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Kein Wunder also, dass sich die Macher nicht die Mühe gemacht haben, das Spiel speziell für die Konsolen der aktuellen Generation zu optimieren. Selbst auf dem Basismodell der XBOX One gelingen flüssige 60 Frames pro Sekunde, gemessen am allgemeinen Look des Spiels sind Auflösungsunterschiede nahezu völlig zu vernachlässigen. Nur die Switch kränkelt in Kämpfen je nach Darstellungsmenge bei der Bildrate und kann schonmal bei Werten im niedrigen Zwanzigerbereich versumpfen, was das rundenbasierte Geschehen zwar nicht merklich beeinflusst, aus technischer Sicht natürlich trotzdem ein Ärgernis ist. 

Fazit und Wertung 

profilbildapril„Noch einmal: Wer weiß, worauf er sich mit Digimon Survive einlässt, bekommt eine facettenreiche Story mit hervorragend geschriebenen Charakteren (inklusive Kreaturen) und gut gestrickten taktischen Kämpfen geboten. Lediglich die Balance aus ellenlangen Textteilen und im Verhältnis dazu nur wenigen storyrelevanten Fights hätten die Macher ausgeglichener gestalten können. Die harsche Kritik, von welcher das Spiel momentan überzogen wird, ist in meinen Augen nicht gerechtfertigt. Mein Rat, auch an jahrelange Fans des Franchises: Lest euch ein, sichtet ein paar Videos und entscheidet dann, ob das Spiel was für euch ist – oder eben nicht. Gemessen an dem, was Digimon Survive ist, gibt es sonst wenig zu bemängeln: Klar, die Visuals stürzen in Fights sichtbar auf Mittelmaß ab und auch die geringe Anzahl an rekrutierbaren Monstern stößt sauer auf. Trotzdem hatte ich als Fan guter Geschichten überwiegend viel Spaß mit dem Spiel.“ 

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PRO:

+ Wendungsreiche, überraschend düstere Geschichte
+ Glaubwürdige Charaktere mit viel erzählerischer Tiefe
+ Entscheidungen mit teils dramatischen Konsequenzen
+ Detaillierte Figuren und Kreaturen
+ Schöne Animesequenzen
+ Fast überall gibt es etwas zu entdecken
+ Hoher Gesamtumfang
+ Taktisch fordernde Kämpfe…
+ …mit fairer Lernkurve
+ Unaufdringliche Tutorials
+ Gute japanische Sprecher
+ Überwiegend sauber lokalisierte deutsche Untertitel
+ Zugängliche Bedienung über sämtliche Plattformen
+ Fairer Preis

CONTRA:

– Nicht mehr zeitgemäße 3D-Grafiken
– Langwieriger Einstieg

– Unausgegorene Balance zwischen Textteil und Kämpfen
– Gemessen an der Gesamtzahl sehr überschaubares Digimon-Roster
– Videosequenzen plattformübergreifend stark komprimiert
– Nintendo Switch mit spürbaren Bildratenproblemen in größeren Kampfszenarien

                                               GESAMTWERTUNG:     7.8/10

Entsprechende Rezensionsmuster sind uns vorab freundlicherweise von Bandai Namco Entertainment zur Verfügung gestellt worden. 

Die hier veröffentlichte Meinung stellt lediglich die Meinung des Autors dar und muss nicht zwangsläufig auch die von Wrestling-Point.de, M-Reviews und allen unterstehenden Mitarbeitern sein.


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