Special: Der Hype – eine Analyse

Habt ihr jemals voller Sehnsucht auf ein Spiel gewartet? Euch jeden Trailer, jeden Screenshot und jeden noch so kleinen Informationshappen mit gar unendlichem Heißhunger einverleibt, nur um am Ende zwischen 40 und 70€ für einen Titel ausgegeben zu haben, der euch tief enttäuscht? In diesem Fall herzlichen Glückwunsch – ihr wart das Opfer eines Overhype. Seit grauer Vorzeit schickt dieses Grauen sich an, die Hoffnungen und Erwartungen von Gamern zu ruinieren. Die Gründe dafür sind oft zahlreich und seitens der Entwickler natürlich selten gewollt, nehmen aber in ihren Ursprüngen seit Jahren stetig zu. No Man’s Sky ist momentan DAS Zentrum einer hitzigen Diskussion. Die einen hassen es, die anderen lieben es. Aber von „Overhype“ und „nicht erfüllten Erwartungen“ wird allgemein dennoch oft gesprochen. Unser Special befasst sich mit Gründen und grundlegenden Problemen. 

„In Zeiten von Steam darf jeder mal Videospieljournalist spielen“

Für mich entsteht ein Overhype aus einer kollektiven Erfahrung heraus. Das bedeutet, er basiert auf der durch Trailer und Screenshots basierenden, gezielten Meinungsbildung der Entwickler und dem daraus entstehenden Feedback möglicher Kunden. Nahezu jede Website und jede gängige Videoplattform bietet die Möglichkeit, Gesehenes zu bewerten und direkt darunter für jeden sichtbar entsprechendes Feedback dazu abzugeben. Wer sich Spielmaterial ansieht, lässt die Comments selten außer Acht. Zu neugierig ist man oftmals über die Meinung anderer. „Game of the Year! Totally gonna buy this“, schreibt da einer. „Oh my god! Look at this graphics!“, ergänzt jemand anderes. „Ladyboys aus deiner Umgebung!“, schreit ein Pop-Up vom Rand des Bildschirms. Komisch, eigentlich hat einen das Gesehene gar nicht so sehr umgehauen. Aber wenn all diese Leute sagen, dass das Spiel toll aussieht und inhaltlich wahrscheinlich ein Game of the Year – Kandidat ist, dann muss das doch stimmen, oder? Dann liege ich mit meiner Meinung doch falsch! Klare Sache, schnell vorbestellen und einen der immer und überall angepriesenen Pre-Order DLC sichern! Aber am Ende kommt dann oftmals die Ernüchterung. Am Erscheinungstag gibt es jede Menge Probleme. Erst lässt sich das Spiel nicht bei Steam aktivieren, dann müssen umständlich viele Gigabyte an Daten und Updates gezogen werden und dennoch stürzt das Spiel dauernd auf dem Ladebildschirm ab. Der Entwickler entschuldigt sich per Twitter und Facebook, versichert „wir sind sehr stolz über den großartigen Launch und arbeiten unter Hochdruck an einer Problemlösung“. Während PC Spieler auf den Patch oder neue Grafikkartentreiber warten, oder aber bereits fröhlich losdaddeln, haben Konsolenspieler bereits 2-3 Tage vorher durch die Händler ihres Vertrauens eine Kopie ergattern können. Mittlerweile ist längst richtiges Gameplay – Material im Umlauf, ja sogar ganze Walkthrougs und Let’s Play’s. PC – Spieler mussten bis Mitternacht warten. Manche haben sich dafür freigenommen, so sind Gamer mit Leib und Seele eben ab und an. Und dann läuft gar nichts. Die Server sind überlastet, die Frustration steigt. In den Foren von Steam und Co. lassen viele bereits ihrem Unmut freien Lauf. Das Spiel sei großer Mist, heißt es. „Wenn es noch nicht mal starten will…“, heißt es da, „…wozu bin ich dann aufgeblieben und wofür habe ich 50€ gerappt? Wieso bleiben solche Fehler bei der Qualitätskontrolle immer unbemerkt!?“ Der zunehmende Frust über Abstürze und Bugs sorgt für eine zunehmende Anzahl an Negativ – Reviews. In Zeiten von Steam und dessen Review – Funktion darf jeder mal Videospieljournalist spielen. 

„Da gibt es Leute, die ihre Channel bewusst aus dem Grund betreiben, Spiele möglichst mies aussehen zu lassen.“

Während man mit der einen Hand in eine fettige Chipstüte greift und sich die nächste Dose Red Bull öffnet, kann man sich ja mal etwas Gameplay von der Konsolenfassung auf YouTube ansehen. Mit Kommentar. Da gibt es Leute, die ihre Channel bewusst aus dem Grund betreiben, Spiele möglichst mies aussehen zu lassen. Jeder weiß das. Zur Meinungsbildung leisten auch sie ihren Beitrag. Oftmals auch aufgrund ihrer hohen Userzahlen und der damit verbundenen Reichweite. „Die Framerate läuft also nicht stabil. Die Server haben noch Verbindungsschwierigkeiten. Die Grafik sieht gar nicht aus, wie in den Trailern!“ Prompt tauchen eilig fabrizierte Vergleichsvideos auf, die einen zwei Jahre alten Trailer mit aktuellem Gameplay vergleichen. „Meine Güte, wie können sie die Leute nur so täuschen? Das ist doch Betrug!“, denkt man sich. Die Kommentare sprechen eine klare Sprache. Ein Skandal sei das, Betrug und sowieso, das ist doch jedes Mal das gleiche! Auch bei Amazon werden erste wütende Reviews veröffentlicht. Oftmals von Leuten, die das Spiel gar nicht besitzen, gerade mal eine halbe Stunde gespielt haben oder ihre Meinung eben nur auf der Kritik anderer Leute basieren. Die Folgen: Der Preis sinkt bereits in den ersten 48 Stunden nach Veröffentlichung drastisch. Zig Spieler versuchen, die Konsolenfassung los zu werden. Ein Preiskampf auf dem Gebrauchtmarkt beginnt, jeder unterbietet den anderen. Der Neupreis wird wieder und wieder angepasst. 

Ein erster Patch rollt an. Die zentralen Absturzursachen wurden behoben, das Spiel startet jetzt ohne Probleme. Erst jetzt betritt man erstmals selbst die Spielewelt. Aber ist Meinungsbildung jetzt überhaupt noch möglich? Überall scheint man nach Bestätigung zu suchen, dass all die Kritiker auf Steam und YouTube Recht hatten. „Tatsächlich, da ist eine etwas schwache Textur zu sehen! Und da, da mangelt es den Schatten an Kantenglättung!“ Nach einer halben Stunde  fordert man bei Steam genervt einen Refund. Zu groß ist die Angst vor weiteren Enttäuschungen. Da hat man so lange auf die Veröffentlichung gewartet, in bester Hoffnung vorbestellt und dann das. Am Ende der Woche haben die Preise einen neuen Tiefpunkt erreicht. Weniger als die Hälfte als zum Launch. Mittlerweile gibt es auch gute Kritiken. Spieler, die mehr Zeit im Game verbracht haben und begeistert sind. Zu wenige, um nicht unter all den Kritiken unterzugehen. Aber meistens doch wesentlich lesenswerter. Längst stellt auch die Fachpresse ihre Reviews zur Verfügung. Die einen lieben es, die anderen hassen es, einig sind sich aber irgendwie alle darin, dass das Spiel dem Hype, den Vorschusslorbeeren, nicht gerecht werden konnte. Was also ändert das groß an der eigenen Meinung?

„Die anderen werden es ja auch irgendwann merken…“

Das Preisdumping und die vielen negativen Kritiken haben Folgen. Schließlich hat die Entwicklung eine Menge Geld verschlungen. Und die Marketingkampagne erst. Poster, Print, Fernsehwerbung. Das Ganze geht in die oberen Millionenbeträge. Bei Steam haben sich die Wertungen mittlerweile eingependelt. Knapp 30.000 Bewertungen. Insgesamt ausgeglichen, Tendenz bleibt negativ. So ist das eben. Wenn ein Spiel Fehler hat, ist es ein leichtes, schnell zu meckern. Dann ist man der erste an der Tastatur. Sieht sich als Protektor der Geldbörsen anderer. Ist ein Spiel aber klasse, dann schreibt man gar nichts. „Die anderen werden es ja auch irgendwann merken. Muss ja nicht an mir hängen bleiben, der Community jetzt überdie Vorzüge zu berichten.“ Aber schon bald spricht niemand mehr von dem einst so sehnlichst erwarteten Titel. Aufgrund der niedrigen Preise und der zahlreichen schlechten Bewertungen von genervten Day One – Gamern entwickelt sich das Spiel zu einem Verlustgeschäft. Der Entwickler wird dichgemacht oder massiv verschlankt. Arbeitsplätze gehen verloren. So läuft Wirtschaft. Der Entwickler sitzt plötzlich auf der Straße. Warum? Weil niemand seine Idee, in die er Jahre der Arbeit investiert hat, keiner verstanden hat. Oder einfach nicht mochte. Oder noch eher, nicht mögen wollte. Weil am Ende ja jeder gesagt hat, dass das Spiel scheiße ist. Und „Jeder“ hat sein Wissen aus dem Internet. Aus YouTube – Reviews, die gerade mal 4-5 Minuten lang sind. Und dem Gebashe zahlreicher Leute, denen das Laden nicht schnell genug geht, obwohl sie doch tausende Euros in ihr System investiert haben. Der Support wird eingestellt. Neue Patches oder Inhalte und damit die Chance, dass ein Entwickler auf lange Sicht das Spiel abliefert, dass er immer im Kopf hatte, ist nicht mehr gegeben. 

„Entwickler und Spieler bilden einen symbiotischen Kreislauf. Wirtschaftlich, aber auch qualitativ“

Spieler sind heutzutage aufgrund solcher Beispielerfahrungen misstrauischer als je zuvor. Der Aspekt der Vorbestellung, das Ködern mit exklusiven Downloadinhalten, all das dient heutzutage für die meisten Gamer nur einem Zweck: Ein Spiel möglichst oft an den Mann bringen, entsprechend Geld vorab zu kassieren (für ein Spiel, dass zum Zeitpunkt der Vorbestellung natürlich nicht fertig ist), nur um am Ende fehlerhafte Titel als Katze im Sack an den Mann zu bringen, die man dann nicht oder nur schwer zurückgeben kann. Vielleicht ist das manchmal so. Vielleicht handhabt man das heutzutage aber auch nur auf jene Weise, bevor die öffentliche Meinung unqualifizierter „Hardware- und Videospielexperten“ wie ein Schwarm Heuschrecken über sämtliche Plattformen zieht und die Preise und das Interesse in den Keller ziehen. Entwickler und Spieler bilden einen symbiotischen Kreislauf. Wirtschaftlich, aber auch qualitativ. Es gibt viele positive Beispiele von Entwicklern, die sich den Wünschen und der Kritik der Community stellen und ihre Vision entsprechend verbessern und anpassen. Es gibt ebenso viele Entwickler, die sehr vorsichtig sind mit dem, was sie zu einem Spiel veröffentlichen. Blizzard zum Beispiel, der für mich heutzutage und seit jeher zu den Vorzeigeentwicklern zu zählen ist, bietet zwar ebenfalls Vorbestellungen an, jedoch erst in einem sehr späten Stadium der Entwicklung. Ferner wird nur dann Gameplay und dergleichen gezeigt, wenn es das fertige Produkt auch tatsächlich repräsentiert. Mit wagen Informationen und Alpha – Screenshots hat man es dort nicht. Und das ist auch gut so. So macht man sich nicht den Druck, am Ende Dinge rechtfertigen zu müssen, die im fertigen Spiel gar nicht mehr vorhanden sind. Heutzutage ist jedes Magazin so schnell dabei, jeden noch so kleinen Informationsfetzen bis in den Himmel zu hypen, oftmals auch nur aufgrund von werbeträchtigem Clickbaiting. Es werden Zusammenhänge hergestellt, die es gar nicht gibt, nur damit die Seite wenigstens halbvoll wirkt.

„Leute, die mit dem Spiel und dessen Entwicklung einen Dreck zu schaffen haben, verdienen trotzdem daran.“

So tragen auch Spielemagazine heutzutage oftmals dazu bei, Hypes unnötig zu schüren und entsprechend auch Vorbestellermöglichkeiten in Form von Hyperlinks auf Partnerseiten wie Key-Suppliern oder Amazon zu offerieren. Ein über solche Links getätigter Kauf bringt nämlich Provision. Meinungsbildung kann bewusst manipulierend, reißerisch oder übertrieben dargestellt werden, wenn es um eigene Interessen geht. Dann steht der Gamer nicht mehr so sehr im Vordergrund, im Grunde nicht mal mehr das Spiel selbst, sondern nur noch der Gewinn. Leute, die mit dem Spiel und dessen Entwicklung einen Dreck zu schaffen haben, verdienen trotzdem daran. Der große Verlierer ist der Gamer selbst. Der hat heutzutage kaum noch Luft und Lust dazu, sich selbst eine Meinung zu bilden. Und wenn doch, greift er provisorisch lieber zur Raubkopie. Demos gibt es heutzutage ja kaum noch. Entwickler rechtfertigen das oft mit der Tatsache, dass eine Demo den wahren Umfang und Zweck ihres Spiels ja gar nicht erfassen würde. Tatsächlich sollen Demos das auch gar nicht tun. Haben sie nie und werden sie auch nie. Der wahre Grund liegt eher darin, dass man um die Vorbestellungen fürchtet. Um Vorabmeinungen, die dafür sorgen, dass man sein Pre-Order storniert, solange es noch geht. Und damit natürlich um das Geld. Gerade PC – Spieler, die 99% aller Spiele meistens fest an Accounts binden müssen und somit nur bedingt oder eher gar nicht zu einem Umtausch berechtigt sind (das beginnt ja bereits mit dem Öffnen der Folie), sind daher erst recht misstrauisch und vorsichtig, informieren sich stattdessen erstmal im Netz oder warten den Release ab. Dinge, die ein Publisher um jeden Preis vermeiden will. Denn in Zeiten, wo durch die Vernetzung unzähliger Gamer auf Plattformen wie Steam nur eine schlechte Meinung eine Lawine der Negativität ins Rollen bringen kann, die sämtliche oben als Beispiele aufgeführte Faktoren als unaufhaltsame Wirkung mit sich bringen kann, ist das Risiko einfach zu groß.

Zu diesem unrühmlichen Kreislauf haben Spieler und Entwickler als Kreislauf aber jeweils selbst beigetragen. Besonders PC – Spieler sind gezwungen, ihre Spiele per Zwangsaktivierung zu entwerten. Konsolenspieler kommen dagegen aus technischen Gründen oftmals nicht in den Genuss der technisch am meisten repräsentativen Präsentation des Spiels. Oftmals bleibt nur, ins kalte Wasser zu hüpfen oder auf Raubkopien zurückzugreifen, um dann ein Spiel später legal zu kaufen, sofern es denn gefällt. Nicht gerade die beste Art. 

Der Hype an sich ist also eine werbewirksame Sache, die oft ganz bewusst herbeigeführt wird. Man wird animiert, die Katze im Sack zu kaufen, ohne diese später wieder zurückgeben zu können. Oder aber zu einem mittlerweile so niedrigen Preis, dass der Verkauf kaum noch lohnt. Dass man durch das gezielte overhyping jedoch eben auch genau das erreichen kann, was Titeln wie No Man’s Sky momentan widerfährt, nämlich aus einem Indie Spiel ein Vollpreistitel machen zu wollen, ohne entsprechende Inhalte zu bieten, muss klar sein. Und solange Entwickler und Publisher mit dubiosen Vorbestellungen locken, keine Demos veröffentlichen und eher an Geld als an die Gamer denken, wird dieser Kreislauf zusammen mit allen anderen Faktoren wohl weiterhin diesen Weg gehen. Ein düsterer Weg, ohne Zweifel.