Sea of Thieves – „Erst Arrr! Dann Narrr!“

                                         Getestet und verfasst von General M 

Den Weg, welchen der legendäre Entwickler Rare von den Glanzzeiten eines Nintendo 64 – Hits nach dem anderen bis zur Übernahme von Microsoft und dem damit verbundenen Verkommen zum Erfüllungsgehilfen für Kinect – Titel zurückgelegt hat, ist lang. Nicht ganz so lang, aber doch ordentlich, ist die Entwicklungszeit des neuesten Rare – Babys „Sea of Thieves“, welches der Öffentlichkeit erstmals auf der E3 2015 präsentiert wurde und seitdem hauptsächlich im Verborgenen weiterentwickelt wurde. Seite etwas über zwei Wochen ist das fertige Spiel nun für XBOX One erhältlich, auch der PC darf via Windows Store im Cross Play und Save ran. Wir sind entsprechend lange auf See unterwegs gewesen, haben uns anderen Spielern erwehrt und zahlreiche Schätze geborgen. Schiffbruch oder Black Pearl, das ist die Frage, der wir auf den Meeres-)Grund gehen wollen. 

Hinweis: Da es sich bei „Sea of Thieves“ um ein reines Onlinespiel handelt, welches zu einem späteren Zeitpunkt laufend neue Inhalte erhalten soll, ersparen wir uns dieses Mal eine abschließende Wertung, sondern belassen es lediglich bei einem Fazit der aktuellen Version. 

Aller Anfang ist schwer

Als angehender Pirat gilt es zu allererst, sich einen Charakter zu erstellen. Auf Gründlichkeitsfanatiker, die hier nach Möglichkeit bis ins kleinste Detail arbeiten wollen, wartet direkt am Anfang die erste Enttäuschung. Statt umfangreichem Editor wird per Zufallsgenerator jeweils eine Palette Charaktere generiert, wer darunter nichts findet, darf neu durchmischen, bis er etwas passendes für sich gefunden hat. Die ohnehin kaum spärliche Anzahl von Vorlagen verändert sich dadurch aber immer nur minimal, was durchaus bedeuten kann, dass man in der Spielwelt auch mal Avataren begegnet, welche dem eigenen Spieler verblüffend ähnlich sehen. 

sot port day
             Die zahlreichen Hafenstädtchen sind hübsch, ähneln sich aber auch alle sehr. 

Hat man diesen Schritt dann hinter sich, muss man vor Spielbeginn noch eine weitere wichtige Entscheidung treffen: Möchte man lieber als Solist oder lediglich mit einem weiteren Kumpel oder Zufallspartner über die Meere schippern, reicht eine kleine, aber dafür wendige Schaluppe völlig aus. Ist man dagegen lieber der gesellige Typ und hat gleich eine ganze Handvoll Freunde am Start, sollte man sich eher für die Galeone entscheiden. Die segelt zwar etwas langsamer und steuert sich auch ein wenig schwerfälliger als die kleinen Schaluppen, bieten dafür aber wesentlich mehr Platz und Feuerkraft. Natürlich kann man auch hier den Computer darum bitten, einen einfach mit fremden Mitstreitern aus aller Welt zusammenzuwürfeln, wobei es dann mit der Kommunikation und der Verteilung der Aufgaben auf dem wesentlich komplexeren Schiff gerne mal schwer werden kann. In meinem Fall bestand meine Crew beim ersten Versuch aus mir selbst, zwei Chinesen und einem stockbesoffenen Russen, welcher die ganze Zeit per Voice Chat irgendwas gebrüllt hat, während die Chinesen einfach mit den Schiffskanonen auf die armen Spieler an Land geschossen haben, was natürlich prompt für wütende Kommentare im Chat sorgte. Smurfs jedoch sind, wenngleich ein Problem, eher eines der kleineren. Das große Problem ist von Anfang an auch, dass einem das Spiel keinerlei Starthilfen gibt. Nicht, dass die eher simplen Spielmechaniken schwer zu erlernen wären, aber bis man erstmal raus hat, wie man das Schiff überhaupt aus dem Starthafen bekommt, erfordert es oftmals eine Menge nerviges Versuchen und Versagen. Man wird einfach ins kalte Wasser geworfen (literally), frei nach dem Motto: Hier sind die Händler, da die Auftraggeber, da ist dein Schiff, alles andere kannst du selbst herausfinden. Und das ist für ein Spiel, welches sich als AAA – Titel einordnen lassen will, ohne dabei als Dark Souls der Meere inszeniert worden zu sein, einfach nur inakzeptabel. Wäre das in Sachen Frustration denn alles, dann könnte man womöglich sogar noch ein Auge zudrücken. Doch der Ärger geht munter weiter. Als einer der ersten, stets zufällig generierten Aufträge, welche man entweder von der Handelsgilde, den Goldsuchern oder einer geheimnisvollen Ansammlung von Schädeljägern annehmen kann, erhalte ich die Mission, bis zum Ablauf einer gewissen Zeit eine Kiste mit jeweils zwei Sorten Hühnern zu einer etwas westlich gelegenen Nachbarinsel zu schippern (zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich bereits dazu entschlossen, doch lieber als Einzelgänger mit kleinem Schiff loszuziehen). Klingt einfach, abgesehen von der Tatsache, dass als Liefergrenze Tag und Uhrzeit angegeben werden, von der man aber nie erfährt, wie weit man von diesen Daten noch entfernt ist. Und sehr viel mehr ist dem Auftrag ohnehin nicht zu entnehmen.

Sea of Thieves 01
       Ob man nun angreift oder verteidigt, die Kanonen sind prima für Distanzkämpfe geeignet.

Der Hühnerkäfig wird aufgenommen, unter Deck abgelegt und los geht die Reise. Anker lichten, Segel setzen, Arrr! Da man aber selbst auf dem kleinen Schiff gezwungen ist, alle Nase lang das Steuer zu verlassen und unter Deck auf der Karte zu prüfen, ob man überhaupt noch auf Kurs ist (da Markierungen und dergleichen ebenfalls fehlen), setzt hier bereits das nächste Zwischenärgernis ein. Endlich am Ziel angelangt, bringe ich den Käfig zum lokalen Händler. Der will sie aber nicht annehmen, weil der Käfig leer ist. Mittlerweile arg gereizt fahre ich die ganze Strecke zum Ausgangspunkt zurück, nur um nach den Federviechern Ausschau zu halten, die aber dort gar nicht heimisch zu sein scheinen. Denn, wer hätte es gedacht, auch darüber, wo genau die Hühner aufzutreiben sind, gibt das Spiel keinerlei Auskunft. Erst über Google finde ich in einem Forum Hinweise, wo es hingeht. Also wieder Segel gesetzt, dieses Mal geht es weit Richtung Süden. Etwa zur Mitte der Strecke attackiert mich dann eine Galeone voller angriffslustiger Spieler und schießt ein Loch in meinen Rumpf. Also runter, mit einem Brett das Leck versiegeln und dann mit dem immer greifbaren Eimer das eingetretene Wasser über Bord geschöpft, bevor der Kahn sinkt. Die Galeone hatte ihren Spaß und ist in der Zeit längst verschwunden. Nachdem das Boot trocken ist, setze ich die Fahrt mittlerweile völlig entnervt fort. Kurz bevor ich mein Ziel erreiche, sinkt das Schiff plötzlich trotzdem und mein Charakter landet im Totenreich, welches durch ein einfaches Portal wieder verlassen werden kann und den Spieler samt Boot zum letzten bereisten Hafen zurückführt. Diese Erfahrung brachte mein Fass derart zum Überlaufen, dass ich das Spiel lauthals fluchend beendete. Die Erfahrungen des ersten Tages. 

 Schätze, Skelette und ein Fäßchen voll Grog

Am nächsten Tag sah es etwas besser aus, der Ärger mit den Hühnern war vergessen. Stattdessen versuchte ich mich dieses Mal an einer Schatzsuche. Je nach Schwierigkeitsgrad der Aufgabe ist das Ziel gelegentlich durch ein dickes „X“ markiert, oder muss erst durch das Deuten von Hinweisen entdeckt werden. Ist man dann am Zielort angelangt und beginnt, an der designierten Stelle zu graben, tauchen prompt einige Skelette auf, welche es gar nicht lustig finden, dass man sich an ihrem Eigentum vergreifen will. Erwartungsgemäß kommt es zum Kampf, der aber aufgrund der Tatsache, dass einfaches Draufhauen mit dem Säbel (aus sehr viel mehr besteht das Kampfsystem ohnehin nicht) meistens völlig ausreichend ist, wieder schnell beendet ist. Mit der Schatzkiste an Bord segle ich dann in der Hoffnung davon, auf dem Rückweg in den nächsten Hafen nicht wieder irgendwelchen Piraten zu begegnen. Und im Grunde ist das auch alles, woraus „Sea of Thieves“ zum momentanen Zeitpunkt besteht. Man nimmt Auftrag um Auftrag an, segelt von A nach B oder C und wieder zurück, gräbt hier einen Schatz aus, haut dort ein paar Skelette weg, dann beginnt alles wieder von Vorne. Im augenblicklichen Zustand bietet das Spiel kaum Abwechslung, auch existiert keinerlei Beute abseits rein kosmetischer Items für Spieler und Schiff, welchen man zu irgendeinem Zeitpunkt motiviert nachjagen könnte. 

gold hoarders close up
                 Schatzsucher holen sich bei den Goldsuchern den nächsten Aufrag ab. 

Umso frustrierender ist neben dem extrem schnell repetiven Missionsablauf, dass man dafür auch noch elendig wenig Erfahrung und Münzen erhält. Wer sich oder sein Schiff ein wenig aufmotzen will, oder gar Zugang zu den legendären Herausforderungen erhalten will, muss elendig lange grinden. Selbst nach zwei Wochen ist es mir nicht gelungen, auch nur ansatzweise in die Nähe des Legenstatus bei einer der drei Fraktionen zu gelangen, obwohl ich mich wirklich täglich tapfer durch die immer wieder gleichen Aufgaben gequält habe. Nach dem irgendwie doch sehr neugierig machenden Anfang gibt es auf dem Weg zum Oberpiraten einfach keinerlei Story oder gar andere erzählerische Höhepunkte, die einen wenigstens mal kurz aus dem Trott reißen. Selbst Soziopathen würden hier irgendwann genervt die Segel streichen, denn selbst die müssen tief in ihrem Inneren ein Empfinden dafür haben, wann eine Sache einfach nur noch langweilt. In Sachen Abwechslung und Motivation fällt „Sea of Thieves“ im augenblicklichen Zustand klar durch. 

Wasser allein reicht nicht aus

Wirklich punkten kann das Spiel dafür technisch. Noch nie wurde Wasser so wunderschön und realistisch in einem Spiel dargestellt. Wenn sich die Wellen am Rumpf brechen, kleine Pfützen sich an Deck bilden, welche dann wenig später zwischen den Holzbrettern verrinnen, macht das schon eine Menge Eindruck. Und auch die Ortschaften wirken hübsch gestaltet und sorgen zusammen mit der tollen musikalischen Untermalung für atmosphärisches Piratenvergnügen. Der Cell Shading – Look mag zwar nicht jedem gefallen, mich hat er jedoch überzeugt, da es der dafür genutzten Unreal Engine 4 gelingt, eine gute Mischung zwischen Comic – Optik und tollen Effekten zu erschaffen, zu denen neben dem Wasser auch die sehr stimmungsvollen Tag- und Nachtwechsel zählen. Eben bunt, aber nie aufdringlich bunt. Mit knapp über 60 verschiedenen Inseln, welche alle recht nahe beisammen liegen, ist die Spielwelt aber sehr überschaubar ausgefallen. Sowohl der PC als auch die XBOX One X unterstützen dabei natives 4K bei 60 Frames pro Sekunde, welche mit einer Geforce GTX 1080ti auf dem Rechenknecht nach Treiberupdate auch bei höchsten Einstellungen bis auf gelegentliche Aussetzer auch oft erreicht werden. Ohnehin fallen die Hardwareanforderungen recht genügsam aus, weshalb das Spiel auch auf älteren PC´s mit Abstrichen sehr gut lauffähig ist. 

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           Banana for scale: Auch die malerischen Sonnenauf- und Untergänge sind hübsch.

Dass der Titel in erster Linie für die XBOX designt wurde, merkt man schnell an der Bedienung. Die klappt auf dem PC zwar mit Maus und Tastatur auch recht gut, die Uhrzeigermenüs und die allgemeine Bedienung sind aber offensichtlich für ein Gamepad gemacht worden, welches dann auch am PC die bevorzugte Wahl sein sollte. Bei der Schiffsbedienung selbst hat man einen guten Kompromiss zwischen arcadelastigem Gameplay und hauchfeinen Simulationselementen erreicht. So fährt das Schiff zwar auch dann weiter, wenn man nicht gerade die Segel nach dem Wind ausrichtet, dann aber ist man gefühlt immer ein wenig flinker unterwegs. Hinsichtlich der Vertonung kann das Spiel aber keinen Blumentopf gewinnen, entsprechend mau fällt auch stets die Interaktion mit ansässigen Tavernenbesitzern und Co. aus. Während sämtliche Texte auf Deutsch verfügbar sind, werden zu den in Textform ausgegebenen Antworten der jeweiligen NPC´s nur die immer gleichen Sprachfetzen ausgegeben, was bereits nach kurzer Zeit extrem lästig wirkt. Besser macht es das Sound Design der Umgebung, welches dank schöner Klangkulisse für eine ebenfalls atmosphärische Stimmung sorgt, egal ob man gerade eine Kanone abfeuert, oder den Säbel rasseln lässt. 

Sea of Thieves Sunrise 4K
            So schön wie in Sea of Thieves hat Wasser bisher in keinem Spiel ausgesehen. 

Fazit

JackSparrow  „Ja, Sea of Thieves sieht über weite Strecken hübsch aus, lässt aber momentan noch das vermissen, was auch den meisten Piraten fehlt, nämlich eine Seele. Hinweise und Hilfen gibt es so gut wie keine, auch einen Schutz vor angriffslustigen Trollen gibt es nicht. Endloses Grinding steht einem furchtbar repetiven Missionsdesign gegenüber. Das Spiel vermag es momentan einfach nicht, einen länger als ein paar Stunden zu motivieren, ehe man in den immer gleichen Abläufen versinkt. Vieles wirkt inkonsequent und uninspiriert umgesetzt. Zu keinem Zeitpunkt hat man wirklich das Gefühl, tatsächlich einen waschechten Vollpreistitel zu spielen, der mit hohem Aufwand entwickelt wurde. Stattdessen hat das Spiel für mich augenblicklich fast den Charakter eines Free-2-Play – Games – und geht damit in seinem augenblicklichen Zustand für mich gnadenlos unter, ganz egal, ob man es alleine, oder gemeinsam mit anderen bestreitet. Entwickler Rare muss nun über die nächste Zeit beweisen, dass sie in der Lage sind, das Spiel abwechslungsreicher, fairer und gleichermaßen einsteigerfreundlicher zu gestalten. Sonst kann man nämlich ebenso für 5€ eine Kopie von Assassin´s Creed: Black Flag erwerben.“

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