GRID Legends – „David gegen Goliath“

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                                                         Getestet und verfasst von General M 

71 BbGe1nTL. SL15010 Forza Horizon 5 begeistert anhaltend Millionen Spieler, mit Gran Turismo 7 steht der nächste potenzielle Rennkracher unmittelbar vor der Tür – wer da erfolgreich mitmischen will, muss schon ein dickes Kaliber auffahren. Selbst nach der Akquisition der britischen Spieleschmiede Codemasters durch Electronic Arts stehen die Briten weiterhin für gutes Racing, mit F1 2021 gelang zuletzt wieder ein sehr starker Simulator. Wer also, wenn nicht wir, mögen sich die Verantwortlichen gesagt haben und schicken mit GRID Legends einen arcadigen Konkurrenten ins Rennen um die Fahrerkrone. Das Spiel greift dabei nicht nur an die Wurzeln des Vorgängers, sondern schlägt auch Bahnen zu längst vergangenen Tagen. Ein gewagter Spagat, der aber im Test überwiegend aufgeht. 

                        Hinweis: Sämtliches Bildmaterial wurde mit der PC-Version erstellt. 

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Nummernrevue

Wie wir alle aus der aufregenden Welt des Rennsports wissen: Ohne Warmup geht es nicht. Damit ihr euch mit all den zentralen Features von GRID Legends bestmöglich vertraut machen könnt, empfiehlt sich als allererstes ein Abstecher in den sechsunddreißig Kapitel umfassenden Storymodus. Als Fahrer mit der Nummer 22 – und genauso werdet ihr auch von Anfang bis Ende genannt – heuern wir dort beim strauchelnden Team Seneca an und arbeiten uns anschließend auf der Karriereleiter immer weiter nach oben. Das ganze Spektakel wird von einer Vielzahl mit echten Schauspielern gedrehten Filmsequenzen begleitet, wofür sich die Macher klar von der erfolgreichen Netflix-Doku Drive to Survive haben inspirieren lassen. Echt sind hier nur die Darsteller – alles andere wurde komplett digital generiert. Mit dem aus der Serie Sex Education bekannten Ncuti Gatwa hat man sogar ein halbwegs bekanntes Gesicht für den Cast gewinnen können, der insgesamt auch einen ganz soliden Job macht. 

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Alles in allem pendelt sich die knapp siebenstündige Story auf dem Niveau von F1 2021 ein. Erwartet also kein preisverdächtiges Drama mit spannenden Charakteren oder epischen Twists. Aber das Gebotene genügt, um einen motiviert bis zum Ende der Linie zu geleiten. Ein bisschen schade ist dabei nur, dass unser Charakter durchgehend unsichtbar wirkt. Kein Avatar, keine Stimme, nichts. Fahrer 22 bleibt letztenendlich nicht mehr als eine anonyme Nummer. Auch muss man bemängeln, dass die Geschichte stur ihrem Skript folgt und sich dementsprechend streng linear präsentiert. Es genügt zum Weiterkommen völlig, das für das jeweilige Event gesetzte Ziel zu erfüllen, um zum nächsten Kapitel voranzuschreiten. Selbst wenn ihr regelmäßig den ersten Platz belegt, spürt ihr davon abseits einiger finanzieller Boni nichts. Und dafür, dass das Team Seneca so einen Versagerruf genießt, wirkt die Teamkulisse eigentlich ziemlich edel. Aber das sind so Kleinigkeiten, über die man hinwegsehen kann. Denn am Ende soll euch die Geschichte primär auf alles vorbereiten, was danach noch folgt. 

Viel zu tun

Die anschließende Karriere ist da schon merklich klassischer gestrickt. Dort arbeitet ihr euch ohne erzählerischen Einschlag von Event zu Event, absolviert immer neue Herausforderungen und feilt weiter an eurem Ruf als Legende. Ob am Steuer eines Mini oder Tourenwagens, für Abwechslung wird definitiv gesorgt. Im Anschluss daran könnt ihr euch entweder in den umfangreichen Mehrspielermodus stürzen und euch gegen andere Spieler aus aller Welt messen, oder im mitgelieferten Editor eure ganz eigenen Veranstaltungen zusammenbasteln. Die gewonnene Währung lässt sich beim Autohändler in die dafür passenden Vehikel eintauschen. Wer mag, kann sich die nötigen Boliden auch ganz einfach ausleihen – dafür kassiert der Händler aber die Hälfte vom Renngewinn. Auf Mikrotransaktionen haben die Macher dankbarerweise komplett verzichtet, die Währungsausschüttung ist fair. Dafür sind über den Verlauf des Jahres insgesamt vier kostenpflichtige DLC-Pakete mit neuen Inhalten geplant. Wie die aussehen, ist aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht bekannt. 

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Insgesamt 128 Vehikel aus allen Genres und Epochen versammelt GRID Legends unter seinem Dach, von Alfa Romeo bis Volvo steht euch also eine breite Palette an Fahrzeugen für jeden Bedarf zur Verfügung. Auch rudimentäres Tuning könnt ihr vornehmen, wenngleich sich die Optionen typisch für ein eher arcadelastiges Rennspiel in Grenzen halten. Der Fuhrpark ist gemessen an großen Konkurrenten wie Forza Horizon 5 mit seinen stolzen 570 Fahrzeugen eher überschaubar und hat auch wenig Aktuelles zu bieten, überzeugt dafür aber mit viel Liebe zum Detail. Jedes Fahrzeug wurde bis in die Fahrerkabine hinein authentisch nachgebildet, die Gesamtqualität der Mitbewerber auf dem Rennspielmarkt erreicht man jedoch auch hier nicht. So richtig Gelegenheit, das aus der Nähe zu betrachten gibt es mangels Showroom aber sowieso nicht. Dafür stimmt das Angebot bei den Strecken, denn von England bis Japan führt euch die Reise einmal quer um die Welt und überzeugt gleichermaßen bei den offiziell lizensierten Strecken wie auch bei den eigens für das Spiel erdachten. 

Dich kenne ich doch!

GRID Legends eignet sich daher am ehesten für jene, die eine Nische zwischen den großen Platzhirschen auf der Piste suchen und denen der erzählerische Einschlag der Geschichte wichtiger ist als ein fast unendlicher Gesamtumfang mit höchstmöglichem Anspruch an Realismus und Detailtreue. Für ein paar Wochen Beschäftigung ist damit auf jeden Fall gesorgt, allerdings hätte ich mir von einer Traditionsschmiede mit jahrzehntelanger Erfahrung in jedweder Hinsicht etwas mehr erhofft. Gerade beim Balancing hat mich das Spiel immer wieder enttäuscht. Die ersten vorgefertigen Herausforderungsstufen sind viel zu leicht, während es am oberen Ende schnell unfair wird. Eine gesunde Mitte zu generieren ist ein Umstand, an dem das Spiel in den allermeisten Fällen scheitert, auch weil der spielerische Anspruch je nach Event sowieso schon sehr schwankend ausgefallen ist, eine ausgeglichene Lernkurve ist gemessen für ein reinrassiges Arcadespiel mit nur sehr geringem Simulationseinschlag abseits von Bodenhaftung bei verschiedenen Wetterlagen und Co. kaum auszumachen.

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Mit dem wiedereingeführten Nemesis-System soll sich die Action auf der Strecke dynamisch anfühlen. Je nach Fahrverhalten kann es nämlich sein, dass sich eure Konkurrenten in waschechte Feinde verwandeln. Einmal zu oft gerammt, schon beginnt der frischgekührte Nemesis damit, euch aktiv das Leben schwer zu machen und nimmt auf gutes Benehmen keine Rücksicht mehr. Im Worst Case kann euch das sogar den Sieg kosten, wenn der Gegner von Rachegefühlen angetrieben plötzlich alles daran setzt, euch in die nächste Bande zu schubsen. Das ist im Kern eine coole Mechanik, zeigt aber aufgrund des bereits erwähnt sehr inkonsistenten Balancings nur auf höheren Schwierigkeitsgraden richtig Wirkung, weil ihr auf den einfacheren Stufen meistens sowieso mühelos weit vor den restlichen Fahrern steht und es dann auch für den ärgsten Nemesis kaum mehr möglich ist, seine Vergeltungspläne noch in die Tat umzusetzen. Und wenn doch, gibt es ja immer noch die Rückspulfunktion, mit der sich manches Ärgernis bequem zurücksetzen lässt – allerdings nur drei Mal, danach bleibt streitlustigen Straßenrambos nur noch der Neustart.

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Abseits von Turnieren ist die Feindschaft aber nach Ende des Events wieder verpufft. Auch dahingehend hätte man mit etwas mehr Tiefe im System einiges mehr erreichen können. Selbst die Karambolagen wollten mich nicht wirklich abholen. Dem Realismus tut es einerseits ganz gut, dass sich auch abseits von unseren Handlungen gelegentlich Unfälle auf der Strecke ereignen und die Wracks dann bis Rennende auf der Strecke liegen bleiben. Spektakulär ist aber anders, das gibt das sehr begrenzte Schadensmodell einfach nicht her. Betrachtet man GRID Legends im Gesamtbild, wird allzu schnell klar, dass die Briten in Sachen Zeitgeist einfach in jedweder Hinsicht hinterherwatscheln. Es ist nicht so, als hätten wir es hier mit einem schlechten Spiel zu tun. Die Konkurrenz liefert aber bereits seit längerer Zeit in wirklich jedwedem Aspekt vom Umfang über Fahrgefühl bis zu den Komfortoptionen einfach zum gleichen Preis wesentlich mehr. Das ist nichts, was man mit Konfettikanonen an der Ziellinie einfach ausgleichen kann.

Unter die Haube geblickt

Technisch macht GRID Legends von derselben Engine Gebrauch, die auch bereits DIRT und F1 2021 erfolgreich angetrieben hat. Die hört auf den Namen Ego und wurde hausintern speziell für Rennspiele entwickelt. Überzeugt haben mich hier vor allem die hübschen Spiegelungen bei nasser oder verschneiter Fahrbahn, was ganz ohne zusätzliches Raytracing gelingt. Auch die Beleuchtung sieht je nach Szenerie – zum Beispiel die Abenddämmerung über Paris – sehr ordentlich aus. Dass es die Fahrzeuge im Detail nicht mit Forza und Co. aufnehmen können, wurde ja bereits gesagt, hässlich sieht das Arsenal der verfügbaren Rennboliden trotzdem nicht aus. Trotzdem muss man auch in diesem Fall feststellen, dass die Konkurrenz technisch ebenfalls ein ganzes Stück weiter ist. Gerade das anstehende Gran Turismo 7, an dessen Test wir bereits eifrig werkeln, zeigt nochmal eindrucksvoll, wie gut ein Rennspiel heute aussehen kann. Dabei dürfen wir aber nicht vergessen, dass GRID Legends ein Multiplattformtitel ist und als solcher natürlich auf den Konsolen der letzten Generation lauffähig sein muss. 

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Doch selbst dann wird man das Gefühl nicht los, dass F1 2021 irgendwie hübscher, detailverliebter und geschmeidiger wirkte. Größere Unterschiede in der grafischen Gesamtqualität sucht man hier nämlich eher vergebens. Nur Auflösung, Bildrate und Ladezeiten variieren je nach Plattform. Auf PlayStation 4 und XBOX One muss man mit maximal 1080p und 30 Frames pro Sekunde Vorlieb nehmen. Die gelingt es zwar überwiegend auch zu halten, für ein Rennspiel – egal ob Arcade oder Simulation – ist die Bildrate aber grundsätzlich zu niedrig. Spielbar ja, aber keinesfall ein Genuss, zumal es gerade in Situationen wo besonders viel Verkehr auf dem Bildschirm zu sehen ist, immer mal zu kleineren Einbrüchen kommen kann. PlayStation 4 PRO und XBOX One X peilen bereits eine verdoppelte Bildrate bei 4K-Auflösung an, agieren dabei aber im oberen Bildratenbereich grundsätzlich sehr unstetig. Das hat nur wenig Auswirkungen auf das Gameplay, macht sich aber trotzdem bemerkbar. Am ehesten stabil performt der Titel auf PlayStation 5, XBOX Series X|S und natürlich dem PC. Ausgenommen der Series S bieten alle Plattformen mindestens 60 Frames pro Sekunde und echtes 4K, ein Update mit Support für 120 Hertz für Series X und PlayStation 5 ist bereits in Arbeit. 

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Den rundesten Gesamteindruck hat für mich im Test die PC-Version gemacht. Die unterscheidet sich zwar visuell allerhöchstens marginal von den leistungsstarken Konsolen der aktuellen Generation und bleibt dabei erfreulich sparsam in ihren Hardwareanforderungen, liefert aber von allen verfügbaren Fassungen die stabilsten Bildraten. Hinzu kommt umfangreicher Support für allerlei Gamepads und Lenkräder. Mit Maus und Tastatur spielt sich das Spiel aber wenig überraschend sehr unpräzise. Auf der Konsole hat die PlayStation 5 dank guter Einbindung des DualSense die Nase vorne. Wandern wir von der Bedienung zum Sound, begeistert GRID Legends mit satten Motorensounds, aber wie immer nur mittelmäßigen deutschen Sprechern bei der Vertonung der Videosequenzen. Einen richtigen Soundtrack gibt es abermals nicht, stattdessen bleibt die musikalische Kulisse generisch und erinnert in ihrem Klang an jene Melodien, die man sonst am ehesten im Fahrstuhl eines Kaufhauses hören würde. 

Fazit und Wertung

profilbildapril„Alles in allem fühlt sich GRID Legends an, als wäre es gute zwei Jahre zu spät erschienen. Ein bisschen so, als hätte Codemasters den Titel noch irgendwo auf Halde gehabt und sich gesagt: Hey, lass das noch fix veröffentlichen! Die innerhalb ihrer Möglichkeiten brauchbar inszenierte Story mit ihren Videosequenzen ist gefühlt das einzige Feature, in dem das Spiel den übermächtigen Konkurrenten aus den Häusern Microsoft und Sony nicht um Längen hinterherfährt. Selbst Gelegenheitszocker ohne großen Anspruch an das Genre bekommen dort für das gleiche Geld einfach sehr viel mehr geboten, grafisch sahen die letzten Veröffentlichungen der Briten besser aus. Das eigentlich unterhaltsame Nemesis-System scheitert überwiegend am unausgegorenen Balancing der einzelnen Schwierigkeitsgrade. Wer auf der Suche nach einem rundherum zeitgemäßen Rennspiel mit entsprechendem Umfang ist, dürfte hier nur schwerlich glücklich werden. Eine gewohnt gute Fahrdynamik und die vorbildliche Zugänglichkeit bei der Bedienung retten das Spiel vor der Belanglosigkeit.“

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PRO:

+ Hübsche Reflektionen
+ Stimmige Beleuchtung
+ Brauchbar inszenierte Geschichte im Dokumentationsstil
+ Gewohnt hervorragendes Fahrgefühl…
+ …mit guter Mischung aus Arcade und Simulation
+ Viele optional zuschaltbare Fahrhilfen
+ Solider Gesamtumfang mit Story, Karriere und Mehrspielermodus
+ Crossplay wird zwischen allen Plattformen unterstützt
+ Abwechslungsreicher Fuhrpark
+ Gute Mischung aus lizensierten und fiktiven Strecken
+ Satte Motorensounds
+ Gelungene Bedienung via Gamepad und Lenkrad

CONTRA:

– Grafisch insgesamt hinter der Konkurrenz und teils auch eigenen Spielen wie F1 2021
– Nur 30 Bilder pro Sekunde auf PlayStation 4 und XBOX One
– Bildrate auf sämtlichen Konsolen generell immer mal wieder einbruchsanfällig

– Unausgeglichene Schwierigkeitsgrade…
– …welche das Nemesis-System teilweise komplett außer Kraft setzen
– Rivalitäten werden mit Ausnahme von Turnieren nach jedem Event zurückgesetzt
– Mittelmäßige deutsche Sprecher
– Story mit viel inhaltlicher Wiederverwertung aus anderen Codemasters-Titeln 
– Fahrer 22 nicht mehr als eine körper- und persönlichkeitslose Hülle
– Belanglose musikalische Untermalung
– Unpräzise Maus- und Tastatursteuerung

 
                                            GESAMTWERTUNG:     6.0/10

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