Schöne neue Welt?
Dass der Mann auch noch unser Cousin ist, bedeutet natürlich keineswegs, dass wir die Stelle nur aus Vetternwirtschaft erhalten haben, denn als versierter Diplomat von Rang und Namen sollen wir auch dabei helfen, ein bisschen Ruhe in die stetigen Fraktionskämpfe zu bringen, denn auch die beiden Nachbarstaaten haben auf der Insel Fuß gefasst. Nicht zuletzt leben auf Teer Fradee auch noch Einheimische die sich mit ihren Kolonialherren ebenfalls nicht allzu gut verstehen. Weil aber nur die in der Lage zu sein scheinen, mit der uralten Magie auf der Insel umgehen zu können, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit den ungesellschaftlichen Bewohnern anzufreuden. Als Constantin dann plötzlich ebenfalls an der tödlichen Seuche erkrankt, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit…
Knapp 30 Stunden dauert es, bis man das Ende von GreedFall über die Mattscheibe flimmern sieht, wobei die Spieldauer natürlich je nach Grad der Erkundigung und der gewählten Schwierigkeit (vier gut ausbalancierte Herausforderungsgrade stehen zur Auswahl) etwas variieren kann. Ein anständiger Umfang, der sich zwar längst nicht mit Größen wie The Witcher 3 oder The Elder Scrolls V: Skyrim messen kann, dafür aber bedingt durch ein abermals eher kleines Budget doch zufriedenstimmt. Tatsächlich beginnt die Handlung auch recht vielversprechend und führt uns nach der abgeschlossenen Erstellung des Spielcharakters im Rahmen des leider sehr rudimentären Editors und der anschließenden Wahl der Anfangsklasse – zur Verfügung stehen Krieger, Taktiker und Magier – mit gutem Tempo in die Spielwelt ein. Nach unserer Ankunft auf Teer Fradee geraten wir außerdem nach und nach an neue Gefährten, von denen uns dann jeweils zwei gleichzeitig auf der weiteren Reise begleiten. All das erinnert inklusive der allgegenwärtig eher düsteren Grundstimmung dann doch sehr an das Vorbild Dragon Age: Origins.
Die Gefährten entpuppen sich aber nicht nur als schnödes Beiwerk, sondern verfügen allesamt über eigene Fertigkeiten und vor allem auch Persönlichkeit, was man übrigens von dem meisten Figuren im Spiel behaupten darf. Wer im richtigen Moment das richtige Gruppenmitglied an seiner Seite hat, kann sogar zusätzliche Dialogoptionen wählen und auf diese Weise manchen Umweg vermeiden. Selbst Liebschaften lassen sich zu den Gefährten aufbauen, wobei der Mühe Lohn eher gering ausfällt: Statt heißer Sexszenen darf man den Charakteren lediglich dabei zusehen, wie sie in einer kurzen Sequenz in voller Montur (!) kuscheln. Überraschend inkonsequent für eine Spielwelt, die den Spieler immer wieder auch im Rahmen seiner vielen Haupt- und Nebenmissionen vor teils moralisch fragwürdige Entscheidungen stellt. Und die haben Gewicht, denn spürbare Konsequenzen, ob gute oder schlechte, folgen nahezu auf jede getroffene Wahl. Dadurch erhöht sich aber auch der Wiederspielwert drastisch, denn dank verschiedener Ausgänge lohnt ein zweiter oder gar dritter Durchgang definitiv.
Inkonsequenz ist auch das Schlagwort, wenn man sich mit der allgemeinen Inszenierung der Geschichte auseinandersetzen will. Die beginnt wie erwähnt stark und entwickelt sich vor allem zum Ende hin zu einer extrem persönlichen Angelegenheit für unseren Helden, schwächelt aber im Mittelteil erheblich vor sich hin. Das liegt besonders am eintönigen Missionsdesign, denn vor allem die Nebenmissionen langweiligen durch eintönige Aufgabenstellungen. Ein bisschen was sammeln, ein bisschen was töten, viel mehr wird einfach nicht geboten. Dabei hätte man in der Welt von GreedFall so viel mehr Möglichkeiten bieten können, den Spieler abwechslungsreich zu beschäftigen. Dass sich zwischen eindrucksvollen Panoramen, dichten Wäldern und hübschen Großstädten letztendlich dann doch kaum etwas tut, enttäuscht, Budget hin oder her. Auch die immer mal wieder geforderten Knobeleinlagen wirken belanglos genug, um komplett aus dem Spiel hätten verbannt werden zu können.
Kampfvariablen
Gegenwärtig hapert es auch ein wenig am Balancing. Trotz Wahl zwischen drei Starterklassen könnt ihr euren Helden dank dreier verschiedener Talentbäume so entwickeln, wie es eurem Spielstil am ehesten zusagt. Redegewandte nutzen ihre Silberzunge, um sich aus fast allem herauszureden, kampfgeschulte Krieger lassen lieber die Fäuste sprechen. Bestechungen sind ebenfalls möglich, um sich manchen Konflikt zu ersparen. Kommt es aber dann doch zu Kämpfen, die sich natürlich vor allem in der Wildnis kaum vermeiden lassen, entpuppen sich manche Fertigkeiten, besonders der Distanzkampf, als sicheres Mittel zum Sieg. Hat man sich nämlich erstmal auf eine erfolgreiche Taktik festgelegt, verlangt einem GreedFall im weiteren Verlauf kaum ab, mal von gewohnten Pfaden abzugehen und sich an einer anderen Strategie zu versuchen. Ob man also nun humanoiden Gegnern gegenübersteht oder einem kleinen Rudel Tierwesen, allesamt lassen sich dann rasch mit der gleichen Kombination aus Angriffen bezwingen, ohne dass man sich dabei groß um sein Ablegen sorgen muss.
Schade, denn auch hier verschenkt das Spiel massiv Potenzial, verfügt es doch über genügend Optionen für zahlreiche verschiedene Spielstile. Dass man aber darauf verzichtet, die auch adäquat zum Einsatz zu bringen, indem man die Feinde mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen versieht, stößt sauer auf und schadet dem eigenen Anspruch als Action – RPG frappierend. Denn eigentlich machen die Kämpfe anfangs richtig viel Spaß. Wenn man aber immer wieder mit den gleichen Aktionen zum Sieg gelangt und immer wieder gleichen Gegnergruppen gegenübersteht, ist man im späteren Verlauf mehr und mehr versucht, die Gefechte nach Möglichkeit einfach zu überspringen und vor Gegnern davon zu laufen, wann immer es geht. Das liegt auch daran, dass reguläre Feinde nie wirklich brauchbare Beute fallenlassen, sondern lediglich Kleinscheiß, den einem nicht mal der Händler gerne abkaufen mag – sonst würden die für unsere mitgebrachte Beute nämlich nicht so unverschämt wenig bezahlen.
Gute Ausrüstung muss daher abseits von den extrem starken Wächterkreaturen, die doch mal das ein oder andere legendäre Item droppen, in den Geschäften gegen bare Münze erworben werden, was aber andererseits natürlich nur die Sinnlosigkeit unterstreicht, sich wirklich auf jeden Kampf einzulassen, welcher sich der Gruppe auf ihrer Reise anbietet. Immerhin reicht es dafür oftmals aus, sich für jeden Slot ein richtig gutes Item zu organisieren, denn dank Aufwertungsoptionen braucht man dieses bis zum Spielende auch nur noch bedingt auszutauschen. Die an vielen Orten und im Lager auffindbare Werkbank bietet dafür aber ausreichend Möglichkeiten.
Hinter den Kulissen
Auf den ersten Blick muss man doch staunen, wie gut GreedFall seinen Mix aus Dark Fantasy und Kolonialepos optisch umsetzt. Lauschige Wälder, architektonisch eindrucksvoll designte Städte, prachtvolle Häfen – all das und mehr bietet das Spiel, welches dann in seinen besten Momenten und auch dank der hübschen Lichtstimmungen an Anor Londo aus Dark Souls erinnert. Geheimnisvoll, gefährlich, aber auch Neugierde weckend. Das knappe Entwicklungsbudget macht sich dann aber wieder lauthals bemerkbar, wenn man hinter die Kulissen blickt. Innenräume gleichen sich wie ein Ei dem anderen, lediglich die Möbel hat man ein wenig variiert und an andere Stellen gerückt. Dass die Entwickler hier wirklich hart in der Recyclingtonne gegraben haben, lässt sich dadurch beim besten Willen nicht kaschieren. Auch die Gesichter entsprechen kaum aktuellen Standards und kommen durchgehend texturarm und vor allem ausdruckslos rüber.
Immerhin: Die Performance ist über sämtliche Plattformen gelungen, wobei nur der PC in der Lage ist, dank unbegrenzter Bildraten mehr zu bieten als die festgelegten 30 Bilder pro Sekunde der Konsolenfassungen. Auch konsequent natives 4K lassen die Konsolen missen. XBOX One X und PlayStation 4 PRO bieten zwar Support für 4K – Auflösungen, nutzen aber beide dynamische Skalierung, die sich dann je nach Situation eher zwischen 1400p und 1800p einpendelt und nur ganz selten mal Spitzenwerte erreicht, wobei die XBOX One X zumindest öfter und näher am Ziel ist als die PlayStation 4 PRO. Bei den Standardmodellen ist die Situation deutlich überschaubarer. Die regulären PlayStation 4 löst in nativem Full HD auf, während die XBOX One S bei 900p verbleibt und damit bei den Konsolen die technisch schwächste Version darstellt. Trotzdem wird die Bildrate auch hier meist gut gehalten, kleine Einbrüche stören das Geschehen nicht. Dafür sind uns die Konsolenfassungen im Test über den Rezensionszeitraum von über einer Woche jeweils mindestens ein halbes Dutzend mal komplett abgeschmiert.
Dem atmosphärischen Soundtrack und guten (aber ausschließlich englischsprachigen) Sprechern samt gut lokalisierter deutscher Untertitel steht eine etwas gewöhnungsbedürftige Bedienung gegenüber, denn egal ob mit Gamepad oder Maus/Tastatur, die fummeligen, nicht immer übersichtlich gestalteten Menüs verlangen einem einiges an Eingewöhnungszeit ab.
Fazit und Wertung
„Trotz vieler kleiner und manch großer Schwächen hat mich GreedFall sehr positiv überrascht. Was die Macher von Spiders hier trotz eher kleinem Geldtopf erschaffen haben, erinnert in vielerlei Hinsicht an die besten Zeiten von Bioware: Eine düstere Spielwelt, interessante Charaktere, eine gute Gruppendynamik mit eigenem Rufsystem und eine im Kern spannende Handlung, all das ist gegeben. Dank schwachem Mittelteil, drögem Missionsdesign und eintönigen, weil nicht optimal ausbalanciertem Skill- und Kampfsystem bleibt es immer noch ein gutes Stück Weg, bis man die Vorbilder wirklich gänzlich einholen oder gar übertrumpfen kann. Die Richtung aber stimmt. Gebt den Entwicklern mehr Geld, mehr Zeit und die Chancen stehen gut, dass uns in Zukunft noch richtig tolle Action RPG´s nach alter Schule erwarten könnten. Bis dahin kann man, sollte man über die Unzulänglichkeiten des Spiels hinwegsehen können, ruhig mal einen Blick riskieren.“
PRO:
+ Hübscher Mix aus Dark Fantasy und Kolonialzeitsetting
+ Stimmige Beleuchtung
+ Teils wunderschön anzusehende Panoramen
+ Von außen sehr ansehnliche Städte
+ Teilweise spektakulär in Szene gesetzte Bosskämpfe
+ Gute (englische) Vertonung
+ Atmosphärischer Soundtrack
+ Dank umfangreichem Talentsystem grundsätzlich viele Spielstile möglich
+ Durchdachtes Kampfsystem
+ Vier Schwierigkeitsgrade
+ Umfangreiche Hauptgeschichte, viele Nebenmissionen
+ Getroffene Entscheidungen wirken sich spürbar auf den weiteren Verlauf aus…
+ …daher recht hoher Wiederspielwert
+ Freies Laden und Speichern ist möglich
– Verschenkt dank schwachem Mittelteil viel erzählerisches Potenzial…
– …und nimmt erst zum Ende wieder kräftig Fahrt auf
– Viele repetiv inszenierte Sammel- und Tötungsmissionen
– Manche Spielstile zu mächtig…
– …was zu immer gleichen Kampfverläufen verführt
– Innenräume gleichen sich abseits kleinerer Details wie ein Ei dem anderen
– Bedienung geht nicht immer optimal von der Hand
– Kämpfe finden ausschließlich gegen gleiche Einheitentypen statt
– Generell nur wenig Artenvielfalt bei Gegnern
– Aufgesetzte Knobeleinlagen
– Unbefriedigendes Beutesystem
– Gelegentliche Abstürze (Konsolen)