Wir schreiben das Jahr 1897. Dem Forscher Nikola Tesla ist es gelungen, der ganzen Welt kostenlosen Zugang zur Elektrizität zu verschaffen. Dadurch hat die Gesellschaft einen enormen technischen Sprung nach vorne gemacht. Doch die Gier nach immer mehr Strom und die ständige Paranoia Tesla´s, von seinem schärften Konkurrenten Thomas Edison sabotiert zu werden haben dafür gesorgt, dass sich der brillante Wissenschaftler auf ein kolossales Schiff mitten auf dem Meer abgesetzt hat, wo er nun in aller Abgeschiedenheit neuen Experimenten nachgehen will. Dazu hat er Forscher und Anhänger aus aller Welt eingeladen, die dem Ruf bereitwillig gefolgt sind. Doch irgendetwas ist auf der Helios gewaltig schiefgelaufen. Als die Journalistin Rose Archer einen Brief von ihrer jüngeren Schwester Ada erhält, die von den schrecklichen Geschehnissen an Bord berichtet und um Rettung bittet, begibt sich Rose kurzerhand rauf auf´s offene Meer, um den Geschehnissen auf den Grund zu gehen und ihr Schwesterherz sicher nach Hause zu holen. Doch in den dunklen Korridoren des einst prachtvolles Schiffes wartet bereits ein furchtbares Grauen darauf, die ungebetene Besucherin angemessen zu empfangen…
In seinen besten Momenten erinnert Close to the Sun in seinem grundlegenden Look fast schon etwas zu verdächtig an den Meilenstein Bioshock, schafft es allerdings in allen anderen Bereichen nie, an dessen Klasse und Vielseitigkeit heranzugelangen. Zwar hat man mit Nikola Tesla eine überaus präsente Schlüsselfigur ins Spiel gebracht, die sinistre Präsenz eines Andrew Ryan mit all ihren erzählerischen Facetten erreichen die Macher dabei aber nie. Die wenigen übrigen Figuren sind ebenso gut geschrieben wie vertont, allen voran Protagonistin Rose überzeugt durch eine gute Mischung aus Humor, Herz und Persönlichkeit. Da Kommunikation abseits diverser Selbstgespräche aber so gut wie ausschließlich auf Funkebene abspielt, werden die zentralen Charaktere bis zum viel zu schnell erreichten Ende nie wirklich greifbar. Bereits nach etwa vier Stunden flimmert der Abspann über die Mattscheibe, was selbst angesichts des günstigen Preises etwas zu wenig ist.
Die Story selbst wird dabei ebenfalls nur viel zu geringfügig ausgebreitet. Ein wissenschaftliches Experiment mit der Zeit hat dafür gesorgt, dass fremde Wesen aus einer anderen Dimension an Bord der Helios gelangt sind und dort für ein Massaker gesorgt haben. Wissenschaftliche Erklärungen bleibt einem das Spiel aber generell schuldig, sondern verweist immer wieder erzwungen humorvoll darauf, dass genaue Erläuterungen viel zu kompliziert wären. Aber wenn man schon so weit geht, eine alternative Zeitlinie zu erschaffen, hätte man auch diese Aspekte besser erklären können. Genaue Antworten auf die letztendlichen Ursachen der Katastrophe bleibt einem Close to the Sun daher bis zum streng linearen Schluss leider schuldig. Moralische und kulturelle Aspekte, wie sie ein Bioshock immer wieder aufwirft, umgeht man konsequent. Da haben die Macher bei der sonst spannenden Grundidee viel Potenzial verschenkt.
Flucht auf Schienen
Horror – Adventures leben primär von Denkaufgaben und einer ordentlichen Prise Schockmomenten. Und auch hier kann das Spiel nie auf ganzer Linie überzeugen. Verriegelte Schlösser erfordern oft nicht mehr als eine einfache Kombination aus Zahlen oder auch Symbolen. Für die richtige Lösung muss Rose meist nur die angrenzenden Räume nach einem aufschlussreichen Dokument oder Schlüssel absuchen, viel mehr Herausforderung wird nicht geboten. Die Erkundung der eigentlich wunderbar atmosphärisch gestalteten Umgebung wird dadurch unangenehm forciert. Überall liegen zudem Zeitungen und andere Schriftstücke herum, die mehr Aufschluss über die Hintergründe geben, auch zahlreiche Collectibles gilt es aufzusammeln, die aber allenfalls Randcharakter haben und für den tatsächlichen Spielablauf nie von Nutzen sind.
Auch die Schockmomente nutzen sich schnell ab. Sorgt der erste Anblick grausam verstümmelter Leichenberge noch für eine kurze Gänsehaut angesichts der Dinge, die hinter der nächsten Tür auf uns warten, nutzt sich der fortlaufende Einsatz dieser Momente zunehmend ab. Hier ein unheimlicher Schatten, da die nächste Leiche und wieder von vorne…da Close to the Sun komplett auf feindliche NPC´s verzichtet, stellt sich bei der Erkundung der Helios hinsichtlich einer präsenten Bedrohung schnell Ernüchterung ein. Wenn dann doch mal ein Zeitmonster Jagd auf Rose macht, dann nur in Form eines Zwischenevents, in denen man die Journalistin durch die Wahl der richtigen Fluchtroute in Sicherheit geleiten muss. Daran KANN man scheitern, hat aber dann spätestens beim zweiten Versuch den Bogen raus. Da diese Events außerdem immer identisch ablaufen, gibt es auch hier später nicht mehr viel zum Gruseln. Die Flucht auf Schienen gerät zum repetiven Ärgernis.
Das große Problem, welches aus all dieser Inkonsequenz entsteht, ist nicht nur ein so gut wie gar nicht vorhandener Wiederspielwert, sondern eben auch das bleibende Gefühl, dass die Macher viel wollten, aber im begrenzten Rahmen von Budget und Personal einfach nichts davon richtig zu Ende bringen konnten. Die richtigen Ansätze für einen kleinen Hit sind allesamt da. Doch ob es nun Rätsel, Story und Horror sind, überall wirkt Close to the Sun letztendlich wie ein dickes Buch, deren jeweilige Kapitel nach wenigen beschriebenen Seiten nur noch dicke Stapel weißes Papier ohne Inhalt enthalten.
Die Horrortitanic
Trotz inhaltlicher Schwächen an allen Ecken und Enden kann man sagen, dass Close to the Sun dank aktueller Unreal Engine 4 richtig toll aussieht. So sehr, dass man sich umso mehr gewünscht hätte, dass die Entwickler die Liebe zum Detail, die das Ambiente eindeutig zu bieten hat, auch in alle anderen Aspekte der Spielerschaffung geflossen wäre. Alleine die Beleuchtung ist fantastisch und sorgt für eine extrem dichte Atmosphäre, auch wenn manche Areale doch etwas ZU dunkel geraten sind. Die schiere Größe der Helios offenbart sich dem Spieler durch viele abwechslungsreiche Areale, die sich einem nach langen Korridoren mehr und mehr erschließen. Dadurch öffnet sich die Spielwelt in genau dem richtigen Tempo und sorgt immer wieder für kleine und große Augenöffner. Schimmerndes Holz, leuchtendes Gold und dazwischen jede Menge Blut und Tod – die Mischung stimmt und sorgt für einen wirklich einzigartigen Look.
Der hat aber auch seinen Preis, denn spätestens in nativem 4K und bei maximalen Details gerät selbst unsere RTX 2080ti an ihre Grenzen und schafft es nicht mehr, durchgehend angepeilte Bildraten von 60 Frames pro Sekunde zu erreichen. Die Einbußen halten sich aber in Grenzen, spielbar bleibt Close to the Sun allemal. Ein kleines Übel für einen stellenweise fotorealistischen Look. Auf 2K bleibt das Spiel durchgehend flüssig, verliert aber gemessen an 4K einiges an Schärfe. Das Ergebnis kann sich selbst dann aber immer noch absolut sehenlassen. Es bleibt abzuwarten, ob es den Entwicklern gelingt, das Spiel auch für die noch in diesem Jahr geplante Konsolenveröffentlichung ähnlich sauber zu optimieren, ohne dass man als Konsolero bei der Grafikqualität zu viele Einschnitte hinnehmen muss. Dass hier zumindest die Bildrate halbiert werden wird, ist mehr als nur wahrscheinlich.
Zu guter letzt ein Wort zu Ton und Bedienung. Überraschenderweise hat man Close to the Sun eine vollständige deutsche Lokalisierung spendiert – und die kann sich sogar hören lassen. Die Sprecher sind allesamt gut besetzt, sauber lokalisierte Untertitel lassen sich jederzeit zuschalten und wer will, kann auch problemlos zu weitere Sprachfassungen wechseln. Der Soundtrack passt klasse zur dunklen Atmosphäre des Spiels und sorgt für bestmögliche Immersion. Und auch die Steuerung geht wunderbar zugänglich von der Hand, egal ob mit Maus und Tastatur oder Gamepad. Lediglich mit der Interaktion von Gegenständen gibt es immer mal wieder kleine positionsbedingte Aussetzer. Hier hätte vor allem der Interaktionsradius selbst etwas großzügiger ausfallen können. Davon abgesehen gibt es aber aufgrund der Tatsache, dass das Spielprinzip aus wenig mehr besteht als Bewegen und Benutzen, wenig Raum zum Scheitern.
Fazit und Wertung
„Close to the Sun stellt gemessen am dem eher kleinen Entwicklerstab ein durchaus ambitioniertes Projekt dar, welches die dementsprechend hohen Erwartungen im Ergebnis leider nur bedingt zu erfüllen weiß. Zwar verfügt das Spiel über alle nötigen Zutaten für eine kleine Genreperle und weiß vor allem optisch ordentlich aufzutrumpfen, inhaltlich bleibt es aber sowohl erzählerisch als auch spielmechanisch mau und inkonsequent in der Umsetzung. Die wenigen wirklichen Horroreinlagen nutzen sich genauso schnell ab wie die repetiven Fluchtmechaniken. Trotzdem ist das Spiel keine Enttäuschung auf ganzer Linie, denn dank genialem Art Design und zu großen Teilen gut geschriebenen Charakteren kommen Genrefans trotzdem auf ihre Kosten – wenn auch nur sehr kurz.“
Pay-2-Win/Miktrontransaktionen: Close to the Sun bietet keinerlei Möglichkeiten, sich gegen Echtgeld spielerische Vorteile zu verschaffen. Eine Abwertung nehmen wir dementsprechend nicht vor.
PRO:
+ Fantastisches Art Design
+ Beklemmende Atmosphäre
+ Stimmige Beleuchtung
+ Detaillierte Texturen
+ Interessanter Storyansatz…
+ …mit teils spannenden Wendungen
+ Charmante Protagonistin
+ Unaufdringliche Knobeleinlagen
+ Collectibles verraten viel über Hintergründe und Personen
+ Gute Deutsche Sprecher
+ Passender Soundtrack
+ Zugängliche Bedienung
CONTRA:
– Lässt inhaltlich und spielerisch viel Potenzial ungenutzt
– Kaum fordernd
– Rahmenhandlung zu inkonsequent erklärt
– Unbefriedigendes Ende
– Schockmomente nutzen sich rasch ab
– Sehr kurz, sehr linear
– Teils zu dunkle Areale
– Repetive Fluchtpassagen
– Rätsel mit immer gleichen Lösungsabläufen
– Gelegentlich fummelige Umgebungsinteraktion
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