The Great Ace Attorney Chronicles – „Fish, Chips und Gerechtigkeit“

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                                                         Getestet und verfasst von General M 

gaackaDie Abenteuer von Phoenix Wright und Co. sind längst nicht mehr nur ein Geheimtipp außerhalb von Japan. Bereits seit knapp zwanzig Jahren sorgt der stachelköpfige Anwalt für Gerechtigkeit im Gerichtssaal und hat mit der Zeit auch immer mehr den Weg in den Westen gefunden – wenn auch stets mit immenser Verspätung. Pünktlich zum anstehenden Jubiläum liefert CAPCOM mit The Great Ace Attorney Chronicles die letzten beiden Neuzugänge zum mittlerweile umfangreichen Franchise als Compilation aus. Das Prequel entführt uns als Vorfahre von Phoenix direkt in das viktorianische Großbritannien, wo einmal mehr viele spannende Kriminalfälle warten. Zeit für einen genauen Blick in die Gerichtsakte. 

           Hinweis: Sämtliches Bildmaterial wurde auf der PlayStation 5 aufgenommen. 

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Cruel Brittania

Mit Jura hat der junge japanische Student Ryonosuke Naruhodo bisher nichts am Hut gehabt. Das ändert sich schlagartig, als er sich eines Tages doch im Gerichtssaal wiederfindet – jedoch nicht als Zeuge, sondern als Angeklagter in einem Mordfall! Ein bekannter englischer Gastprofessor wurde in einem Restaurant erschossen und ausgerechnet Ryonosuke wurde direkt vor der Leiche mit einer Waffe in der Hand gestellt. Für die Staatsanwaltschaft scheint der Fall klar zu sein. Nur der idealistische Nachwuchsanwalt Kazuma Asogi, der zufällig der beste Freund des Verdächtigen ist, wagt sich entschlossen an die Verteidigung. Weil eine Niederlage vor Gericht das unmittelbare Ende einer lange geplanten Studienreise nach England gefährden würde, verteidigt sich Ryonosuke zur großen Überraschung aller Anwesenden einfach selbst und schnuppert so zum ersten Mal die energiegeladene Luft eines Gerichtsprozesses.

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Mit einiger Hilfe von Kazuma und der begabten Rechtsassistentin Susato Mikotoba gelingt es dann tatsächlich, den wahren Schuldigen zu entlarven. Schließlich tritt das Trio gemeinsam die Reise über den Ozean an. Doch noch während der Überfahrt via Passagierschiff kommt es zur nächsten Katastrophe: Kazuma liegt tot in seiner Kabine und wieder ist es Naruhodo-san, den alle für den Täter halten. Keine Frage, jemand anderes hat das Ableben des besten Freundes herbeigeführt. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, denn bei der Ankunft im nächsten Hafen soll der als blinde Passagier an Bord gelangte sofort den Behörden übergeben werden. Bei den Ermittlungen begegnen Ryonosuke und Susato neben zahlreichen dubiosen Gestalten auch erstmals dem weltberühmten Detektiv Herlock Sholmes (den Buchstabendreher verdanken wir übrigens einem anhaltenden Rechtsstreit um die Lizenz), der bei den Ermittlungen gerne aushilft, mit seiner Exzentrik aber auch immer wieder für Probleme sorgt…

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Und das ist nur der Beginn zweier umfangreicher Abenteuer mit jeweils fünf Fällen, deren Großteil wir vor altenglischer Kulisse erleben dürfen. Obwohl die meisten Episoden in ihrem Ausgang etwas vorhersehbarer sind, als man es sonst von der Reihe gewohnt ist, dürfen sich Fans und Interessenten einmal mehr auf hervorragend durchdachte Geschichten und skurrile Charaktere freuen. Nach den eher durchschnittlichen letzten Ablegern Dual Destinies und Spirits of Justice, die mir persönlich zu sehr ins Fantasysetting abgedriftet sind, präsentieren sich die beiden neuen, erstmals 2015 bzw. 2017 für den Nintendo 3DS veröffentlichten Spiele auch dank der Wiederkehr von Serienschöpfer Shu Takumi wieder bodenständiger und eignen sich aufgrund ihrer zeitlichen Ansiedlung auch für Neueinsteiger perfekt. Profis werden die Fälle aber recht schnell durchgeknobelt haben.

Whodunnit?

Dass das britische Justizsystem ein bisschen anders funktioniert als alles, was man bisher im Rahmen des Franchises gesehen hat, merkt man schnell. Erstmals stehen wir vor Gericht nicht nur einem gewohnt minimal verpeilten Richter sowie einem unerbittlichen Staatsanwalt gegenüber – der in meinen Augen übrigens definitiv einen Platz in der A-Liga zwischen Edgeworth und Godot verdient hat -, sondern auch einer fünfköpfigen Jury, die für die Urteilsfindung wortwörtlich das Zünglein an der Waage darstellen. Entscheidet sich eine Mehrheit dafür, dass unser Klient schuldig ist, müssen wir regelmäßig mit viel Überzeugungsarbeit dafür sorgen, die Meinung im allerletzten Moment durch das Aufdecken und Verbinden von Widersprüchen wieder zu unseren Gunsten zu wenden.

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Das geschieht zum Glück nicht permanent, sondern wird ausschließlich zu vorgegebener Zeit in die laufende Story eingebunden. Der Druck, permanent gegen die öffentliche Meinung arbeiten zu müssen, entfällt also. Allerdings gilt wie bei allem anderen auch: Nach fünf Fehlversuchen, egal ob hier oder beim Vorlegen falscher Beweise heißt es „Game Over“ und ihr landet schnurstracks wieder im Hauptmenü. Weil ihr aber weiterhin zu jedem Zeitpunkt frei speichern und laden könnt, stellt auch das kein allzu großes Problem dar.  Die Jury sorgt jedenfalls für frischen Wind im altbekannten Prozessgetümmel und bringt zusätzlich mehr Leben ins Spiel. Die permanenten Auseinandersetzungen zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft bleiben zwar weiterhin lustig zu verfolgen, dank der immer neuen illustren Zusatzcharaktere ergeben sich aber viel mehr Interaktions- und Dialogoptionen. Hinzu kommt, dass sich jetzt öfter mal mehrere Zeugen auf einmal zum Verhör einfinden. Hier müssen wir auf eventuelle Reaktionen von Nebenstehenden achten, um eventuell weitere wichtige Informationen zu Tage fördern zu können. So viel Interaktion gab es vor Gericht bisher in keinem Teil der Reihe, dafür fallen die Ermittlungen dieses Mal aber weitaus kürzer als erwartet aus. 

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Was sich aber nicht geändert hat, ist die Unmenge an Text, die es im Spielverlauf zu lesen gilt. Die sind jedoch gegenwärtig ausschließlich in englischer und japanischer Sprache verfügbar. Die vorbildliche Übersetzung stellt einen dicken Pluspunkt dar, macht allerdings häufig Gebrauch von Slangs und setzt dementsprechend mindestens sehr gute Sprachkenntnisse voraus, um angemessen verstanden zu können. Wer also weder der englischen noch der japanischen Sprache mächtig ist, sollte gar nicht erst über einen Kauf nachdenken. Und auch für Besitzer einer XBOX sieht es düster aus: Weil die Ace Attorney Trilogy dort gerade einmal weltweit tausend Interessenten gefunden hat, ist es verdammt unwahrscheinlich, dass Ryonosuke und Friends in absehbarer Zeit nochmal abseits von Switch, PC und PlayStation ermitteln dürfen. 

DS goes PS

Für unseren Test wurde uns seitens CAPCOM freundlicherweise ein Exemplar der Version für PlayStation 4 zur Verfügung gestellt, die wir via Abwärtskompatibilität der PlayStation 5 auch problemlos auf dem Nachfolgemodell starten konnten. Besondere visuelle Unterschiede zu anderen Versionen lassen sich aber nicht ausmachen. Die Portierung vom dreidimensionalen Handheld ist weitestgehend gelungen. Sämtliche Konsolen lösen in 1080p auf, alle Assets entstammen unverändert der Vorlage. Und obwohl sowohl Hintergrundgrafiken als auch Charaktermodelle gewohnt viel comicartigen Charme versprühen, ist das Spiel aufgrund von Alter und Herkunft alles andere grafisch zeitgemäß zu bewerten. Wenigstens um Performanceprobleme muss man sich nie auch nur ansatzweise Gedanken machen. 

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Kleine, schön gemachte, aber gleichzeitig sehr niedrig aufgelöste Animesequenzen lockern die Stories immer wieder auf. Hier hätte man ingesamt ruhig etwas mehr Arbeit investieren können und die Titel für größere Displays sowie die wesentlich höhere Hardwareleistung aller verfügbaren Plattformen etwas aufzuhübschen. So bleibt The Great Ace Attorney Chronicles ein technisch eher enttäuschender Port zweier sonst wirklich gelungener Spiele. Spätestens, wenn man im Finale zum ersten Teil zum Schielen animiert wird, um die Wunder der Stereoskopie bestaunen zu dürfen, funktioniert das anders als noch auf dem Display des Nintendo 3DS hier absolut nicht mehr, die gesamte damit verbundene Mechanik gerät ad absurdum. 

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Komplett begeistern kann auch die Steuerung nicht. Während man auf dem 3DS problemlos mithilfe des Stiftes auch kleinere Objekte ansteuern kann, zeigen sich vor allem die Controller von PlayStation und Switch hier arg unpräzise. Was das angeht, liegt der PC dank präziser Maus klar vorne. Richtig übel wird es dann über Remote Play am Smartphone, wo man dank Eingabeverzögerung und stoischer Stickbedienung nur im Glücksfall wirklich direkt an den Ort gelangt, an den man den Cursor auch tatsächlich bewegen möchte. Über alle Zweifel erhaben ist dafür der fantastische Soundtrack, den ich hiermit auch alljenen wärmstens ans Herz legen will, die sonst keinen Zugang zur Reihe finden. Die komplette Playlist kann jederzeit bei Spotify auf dem offiziellen Kanal abgerufen werden. 

Fazit und Wertung

profilbildapril„Kein Schuldspruch nötig: Trotz mittlerweile altbackener Grafik und kleineren Unzulänglichkeiten bei der Bedienung entpuppen sich die beiden unter dem Dach von The Great Ace Attorney Chronicles vereinten Abenteuer als gelungene Beiträge zur weitläufigen Reihe. Mechaniken wie die Jury oder die Deduktion mit Herlock Sholmes bringen ebenso frischen Wind ins Gameplay wie das im Vergleich zu den beiden Vorgängern bodenständigere Szenario im alten England. Zwar bieten die jeweiligen Episoden nicht den gewohnten Einzelumfang, den man über die Jahre gewöhnt ist, spannende Fälle und schrullige Charaktere warten aber auch hier. Ohne gute Kenntnisse in Englisch oder Japanisch wird man bei der Lösung aber schnell eine Bruchlandung hinlegen.“ 

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PRO:

+ Unverbrauchtes Setting
+ Gewohnt starke Charaktere
+ Bis ins kleinste Detail durchdachte Fälle
+ Viele Referenzen und Anspielungen auf den Rest der Reihe
+ Sinnvolle Gameplayneuerungen
+ Sehr einsteigerfreundlich

+ Hervorragende englische Übersetzung
+ Gut gemachte Animesequenzen
+ Freies Speichern und Laden jederzeit möglich

+ Toller Soundtrack
+ Fairer Preis

CONTRA:

– Grafisch eher altbacken
– Controllerbedienung mit Präzisionsschwächen
– Fälle für Profis in den meisten Fällen rasch durchschaubar
– Im Vergleich zu den Vorgängern relativ kurze Episoden
– Stereoskopiesequenzen abseits des 3DS quasi nutzlos
– Keine deutsche Übersetzung

                                           GESAMTWERTUNG:     7.5/10

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