Natalya Neidhart zählt zu den konstantesten und respektiertesten Persönlichkeiten in der modernen WWE-Geschichte. Seit ihrem Debüt im Jahr 2008 hat sie über 2.000 Matches bestritten, hält mehrere Rekorde in der Women’s Division und gehört als Mitglied der legendären Hart-Familie zu den tragenden Säulen des Wrestling-Erbes. Doch trotz all dieser Errungenschaften offenbart sie nun, dass ihr Weg an die Spitze von inneren Kämpfen, Selbstzweifeln und familiären Belastungen geprägt war.
In einem aufschlussreichen Gespräch mit der kanadischen Sängerin und Podcasterin Jann Arden gewährte Natalya im gleichnamigen Podcast einen seltenen Einblick in ihr Seelenleben. Die 43-Jährige sprach über das sogenannte Hochstapler-Syndrom, unter dem sie viele Jahre lang litt. Obwohl sie zu den erfolgreichsten Wrestlerinnen der WWE zählt, fühlte sie sich häufig, als würde sie nicht dazugehören oder ihre Erfolge nicht verdienen.
„Ich hatte während meiner gesamten Karriere das Gefühl, dass ich nicht gut genug war“, gab sie ehrlich zu. „Ich habe mich oft gefragt: Warum sollte jemand mich überhaupt als Gegnerin wollen? Warum sollte mir jemand einen Titelmatch geben?“
Natalya erklärte, dass sie sich in einer Branche voller großer Persönlichkeiten und makelloser Athleten oft selbst unter Druck setzte. Sie habe jahrelang geglaubt, nur dann akzeptiert zu werden, wenn sie andere besser aussehen lasse, anstatt selbst im Mittelpunkt zu stehen. „Ich habe über lange Zeit versucht, einfach zu überleben, anstatt zu glänzen“, erklärte sie rückblickend.
Die entscheidende Frage, die alles veränderte
Der entscheidende Wendepunkt in ihrem Denken kam, als ihr Ehemann TJ Wilson – besser bekannt als der frühere WWE-Superstar Tyson Kidd – sie mit einer einfachen, aber wirkungsvollen Frage konfrontierte: „Warum nicht du?“
„Er sah mich an und sagte: ‚Warum kannst du das nicht? Warum glaubst du, dass du es nicht verdienst?‘ Diese Frage hat mich zum Nachdenken gebracht“, erzählte sie. „Ich habe angefangen, mich selbst anders zu sehen. Ich habe erkannt, dass ich nicht weniger wert bin als andere.“
Aus dieser Erkenntnis entstand auch der Kern ihres neuen Buches The Last Hart Beating, das demnächst erscheint. Darin beschreibt Natalya ihren persönlichen Weg, sich selbst zu akzeptieren, ihren Wert zu erkennen und ihre Stimme zu finden – sowohl im Wrestling als auch im Leben.
„Es gab Zeiten, in denen ich dachte, ich sei nicht gut genug. Doch irgendwann kam der Punkt, an dem ich mir sagte: Ich verdiene es, alles zu haben, was ich mir erarbeite. Also höre auf, dir einzureden, dass du es nicht kannst“, so Natalya.
Mit ihrer offenen Art will sie Menschen dazu inspirieren, ihre eigenen Zweifel zu überwinden. „Es spielt keine Rolle, wo du arbeitest oder wer du bist. Es zählt, dass du an dich glaubst. Wenn dich etwas begeistert oder antreibt, dann frag dich: Warum nicht ich?“
Diese Worte spiegeln eine Lebensphilosophie wider, die über den Wrestling-Ring hinausgeht. Natalya betont, dass Selbstvertrauen nicht angeboren ist, sondern täglich erarbeitet werden muss – besonders in einem Umfeld, in dem Leistung, Aussehen und Konkurrenzdruck eng miteinander verwoben sind.
Der lange Leidensweg ihres Vaters Jim “The Anvil” Neidhart
Neben ihrem persönlichen Werdegang sprach Natalya auch über ein Thema, das ihre Familie jahrelang im Verborgenen hielt: den gesundheitlichen Verfall ihres Vaters, der Wrestling-Legende Jim „The Anvil“ Neidhart.
Jim Neidhart, Mitglied der berühmten Hart Foundation und zweifacher WWE Tag Team Champion, verstarb im August 2018 im Alter von 63 Jahren. Doch wie seine Tochter nun enthüllt, war sein Tod das Ende eines langen, stillen Leidensweges.
„Bevor mein Vater starb, nahmen wir an, dass er Alzheimer hatte. Viele Ärzte sagten uns das wegen der Symptome, die er zeigte“, erzählte Natalya. „Aber nach seinem Tod haben wir mehr herausgefunden. Es war komplizierter als das.“
Wie sich herausstellte, litt ihr Vater offenbar an einer Form von chronischer traumatischer Enzephalopathie (CTE) – einer degenerativen Gehirnerkrankung, die durch wiederholte Kopfverletzungen verursacht wird. Diese Erkenntnis passt zu dem, was viele ehemalige Profisportler erfahren haben, die über Jahre hinweg Schläge auf den Kopf erlitten.
„Mein Vater hatte schon früh mit Kopfverletzungen zu kämpfen. Er begann mit elf Jahren Football zu spielen, und damals trug niemand Helme“, sagte Natalya. „Später kam das Wrestling dazu, und er kassierte unzählige Treffer. Irgendwann summiert sich das.“
Ein Familiengeheimnis, das zur Botschaft wurde
Die Entscheidung, die Wahrheit über den Gesundheitszustand ihres Vaters öffentlich zu machen, fiel Natalya nicht leicht. Über viele Jahre hielten sie und ihre Schwestern die Details geheim, um die Privatsphäre ihres Vaters zu schützen. Doch mit der Zeit reifte in ihr der Gedanke, dass Offenheit anderen Familien helfen könnte, die Ähnliches durchmachen.
„Wir haben es immer geheim gehalten, weil wir nicht wollten, dass jemand Mitleid mit uns hat“, erklärte sie. „Aber irgendwann wurde mir klar, dass so viele Menschen dasselbe erleben. Sie müssen wissen, dass sie nicht allein sind.“
Natalya hofft, mit ihrem Buch nicht nur Einblicke in ihr Leben zu geben, sondern auch das Bewusstsein für die psychische und physische Gesundheit von Wrestlern zu schärfen. Der Fall ihres Vaters zeigt, wie hoch der Preis für jahrzehntelange sportliche Hingabe sein kann – und dass Stärke manchmal darin besteht, Schwäche zuzugeben.
Eine Geschichte über Mut, Verletzlichkeit und Selbstakzeptanz
Mit The Last Hart Beating verbindet Natalya zwei zentrale Botschaften: mentale Gesundheit und familiäre Stärke. Ihre Erzählungen aus dem WWE-Alltag, gepaart mit den intimen Einblicken in die Geschichte ihres Vaters, zeigen, dass wahre Helden nicht unbesiegbar sind.
Sie spricht über die Schattenseiten des Ruhms, über den Druck, immer funktionieren zu müssen, und über die Macht der Selbstreflexion. Dabei nutzt sie ihre Plattform, um zu zeigen, dass Verletzlichkeit keine Schwäche ist, sondern eine Form von Stärke.
„Ich habe gelernt, dass es okay ist, nicht immer stark zu sein. Ich habe gelernt, dass ich meinen eigenen Wert nicht an Titeln oder Erfolgen messen darf. Das Leben meines Vaters hat mir gezeigt, dass Gesundheit und Liebe mehr zählen als alles andere“, sagte sie abschließend.
Hinterlasse jetzt einen Kommentar