Desperados III – „List und Tücke im Wilden Westen“

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                                                        Getestet und verfasst von General M

81zsJXHrdXL. SL1500 Ende der Neunziger Jahre schlug mit Commandos: Hinter feindlichen Linien ein ganz neues Genre auf – die Echtzeittaktik war geboren! Selbst kluge Spielerköpfe wurden in immer schwierigeren Missionen an die Grenzen ihrer Fähigkeiten gebracht, wobei die besten Lösungsansätze teilweise in der Schulpause ausgetauscht und diskutiert wurden. „Was die Spanier können, das können wir schon lange!“ dachte sich so oder so ähnlich wohl das deutsche Entwicklerteam Spellbound und verlagerte das Konzept gepaart mit einigen frischen Ideen kurzerhand in den Wilden Westen. Desperados: Wanted Dead or Alive erschien 2001 und stellte eine hervorragende Abwechslung für alle kriegsmüden Taktiker dar. Nach zwei wenig ruhmreichen Fortsetzungen wurde es lange Zeit still um die Reihe. Bis jetzt! Unter neuem Banner will Desperados III alte und neue Spieler für sich gewinnen. Mit Erfolg?

                         Hinweis: Sämtliches Bildmaterial wurde mit der PC-Version erstellt. 

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Alles auf Anfang

Obwohl der Titel Desperados III eine direkte Fortsetzung der vergangenen Abenteuer um John Cooper und Co. vermuten lässt, spielt sich die Handlung noch vor dem ersten Teil ab. Und wie so oft im Wilden Westen dreht sich wieder einmal alles um Rache und schnöden Mammon. Die Motive der insgesamt fünf Charaktere sind relativ unterschiedlich, führen aber schlussendlich allesamt zur machthungrigen DeVitt Company sowie Bösewicht Frank, die mit Intrigen und Gewalt das Ende des Wilden Westens herbeiführen wollen und dafür eine ganze Schar durchtriebener Helfer mobilisieren. Zugegeben, die Rahmenhandlung ist weder neu noch innovativ. Wer in seinem Leben schonmal einen guten Western gesehen hat, stößt im Spiel mit großer Wahrscheinlichkeit auf zahlreiche Parallelen. Trotzdem ist es dem deutschen Entwicklerstudio Mimimi Games, die bereits mit Shadow Tactics: Blade of the Shogun ein längst vergessenes Genre zu neuem Leben erweckt haben (und dafür eine ganze Palette namhafter Auszeichnungen mit nach Hause nehmen durften) gelungen, den Desperados dank hervorragendem Gameplay und toll geschriebener Charaktere eine formidable Rückkehr auf beinahe alle aktuellen Plattformen zu ermöglichen. 

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Um den raubeinigen Revolverhelden John Cooper scharrt sich schnell eine illustre Runde weiterer Outlaws, die allesamt mit eigenen Stärken und Schwächen daherkommen. Diese klug miteinander zu kombinieren ist absolut essentiell für einen erfolgreichen Missionsabschluss. Kenner der Originale finden mit Doc McCoy und der schönen Kate O´Hara sogar zwei alte Bekannte im Team wieder. Neu hinzugekommen sind dafür der Kraftprotz Hector Mendoza und die geheimnisvolle Voodooschamanin Isabelle Moreau. Die jeweiligen Figuren unterscheiden sich bereits bei ihren passiven Eigenschaften massiv voneinander. So sind beispielsweise nur John und Isabelle in der Kunst des Schwimmens versiert und können zusätzlich vom Seil bis zur efeubewachsenenen Mauer alle gängigen Hindernisse problemlos überwinden, während der Rest sich alternative Routen zu seinem Ziel suchen muss. Bei den aktiven Grundfertigkeiten kann man in drei Kategorien unterteilen, nämlich Angriff, Ablenkung und Hinterhalt. Sehr verschieden sind dafür Reichweite und Effektivität. Während John mit seinem Münzwurf höchstens den Blick der meisten Gegner kurzzeitig in eine andere Richtung lenken kann (oder Pferde zum Treten animiert), nutzt Doc McCoy seine Arzttasche als Köder, die sogar Patrouillen von ihrer Route abbringt – einen betäubenden Knalleffekt liefert das mächtige Gadget frei Haus dazu. Mendoza hält es lieber simpel und lockt ahnungslose Gegner via Pfiff in die zuvor aufgestellte Bärenfalle. 

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Neben diesen Standardaktionen verfügt jeder Held zusätzlich über eine einzigartige Spezialfähigkeit. Verschlossene Türen kann McCoy leicht mit seinem Dietrich knacken, Isabelle übernimmt Gegner mit ihren Voodookünsten und die gewiefte Kate versteht sich neben der Tarnung auch bestens darauf, ihre weiblichen Reize einzusetzen und Gegner zu becircen. Die Frage ist nur: Wie lässt sich all das mit nur wenigen Klicks anständig koordinieren? Ganz einfach, denn via einfachem Tastendruck könnt ihr das reguläre Spielgeschehen jederzeit pausieren (ausgenommen im schweren Modus) und wechselt in den sogenannten Showdown. Hier plant ihr in belieber Abfolge eure Aktionen und gebt dann den Startbefehl zur Umsetzung. Das alles geht via Gamepad sogar einen Ticken besser von der Hand als über Maus und Tastatur, weil sämtliche Befehle einfach näher beieinander sind. Trotzdem solltet ihr euch über sämtliche Plattformen darauf einstellen, dass die Bedienung von Desperados III aufgrund ihrer Komplexität nicht zu den einsteigerfreundlichsten gehört. Die spannenden Ausführungen eurer Planung wird dafür immer wieder mit humorvollen Interaktionen unter den Helden belohnt. Gerade nach einem erfolgreichen Showdown tun die kleinen Wortscharmützel zwischen den Figuren unglaublich gut und lockern die zuvor noch so arg angespannte Muskulatur für den nächsten Akt. 

Geduld ist eine Tugend

Sechzehn Missionen warten mit immer neuen Herausforderungen darauf, den Taktiker in euch mehr und mehr an seine Leistungsgrenzen zu führen. Dank exzellenter Lernkurve und umfangreichen Tutorials wird man über die ersten Missionen bestens an die Charaktere und deren jeweils einzigartige Fertigkeiten herangeführt. Drei Schwierigkeitsgrade stehen von Anfang an zur Verfügung, wer will kann Munitionskapazität und Co. aber auch manuell für ein ganz individuelles Erlebnis justieren. Da aber selbst auf dem einfachsten Schwierigkeitsgrad viel ausprobiert werden muss, sollten selbst Genreveteranen wenigstens siebzehn Stunden brauchen, bis sie den Abspann erblicken. Das viele Try and Error lässt vor allem die Schnellspeicher- und Ladefunktion schnell zu eurem besten Freund werden. Praktischerweise informiert euch das Spiel aber in stufenweise wählbaren Abständen regelmäßig darüber, wie lange eure letzte Sicherung bereits zurückliegt. 

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Zum Glück dauert das Laden nach einem missglückten Versuch auf dem PC nur wenige Sekunden, während Konsolenbesitzer ein wenig länger ausharren müssen. Auch dort ist man aber schnell genug wieder im Sattel, um sich erneut an den Planungstisch setzen zu können. Lauthals drauflos ballern ist übrigens nie eine gute Idee. Erstens ist die Munition je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad viel zu knapp bemessen und reicht selbst auf Leicht nicht, um eine ganze Karte voller teils widerstandsfähiger Feinde zu säubern, zweitens segnen eure Helden bereits nach wenigen Treffern das Zeitliche, was den sofortigen Missionsabbruch zur Folge hat. Zwar lässt sich hier und da etwas Nachschub finden, Schusswechsel sollten aber generell nur als letztes Mittel begonnen werden. Wichtig ist, dass man für Desperados III Mut zum Versagen mitbringen muss, denn anderenfalls landet das Spiel wahrscheinlich schneller in der Ecke als Wahlwerbung von Philipp Amthor. Praktisch: Am Ende einer Mission zeigt euch das Spiel eure Route samt Ereignissen an, zusätzliche Challenges heben den ohnehin schon hohen Wiederspielwert noch weiter an.

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Wie beispielsweise bei einem Dark Souls oder Hitman geht es eher darum, Situationen zu beobachten, Muster zu erlernen und anschließend zu überlegen, wie man diese bestmöglich für sich ausnutzen kann. Wer dieses Prinzip nicht nur verinnerlicht, sondern als mechanisches Kernelement auch adaptiert, wird mit John Cooper und Kohorten definitiv eine Menge Spaß haben. Alle anderen Westernfans sind mit Red Dead Redemption II wahrscheinlich weiterhin besser bedient. Mir persönlich hat schon das originale Desperados unglaublich gut gefallen und es freut mich einfach nur zu sehen, wie gut es den Entwicklern gelungen ist, eine nahezu perfekte Balance zwischen klassischem Gameplay und modernen Erweiterungen zu finden, ohne dabei Herz und Seele des Genres zu opfern. Daran sind nämlich seinerzeit vor allem die mittelmäßigen Fortsetzungen unter anderem an aufgesetzten Egoperspektiven gescheitert. 

Die Liebe zum Detail

Desperados III geht diesbezüglich einen Schritt zurück und offeriert lediglich isometrische Perspektiven, dafür aber frei drehbare Karten und mehrere Zoomstufen. So ist garantiert, dass euch die essentiell notwendige Orientierung nie verloren geht. Die weitläufigen Maps bestechen zusätzlich durch abwechslungsreiche Designs. Von Gutsherrenanwesen über Städte bis hin zu Sumpfgebieten und dem Mississippi River erwartet euch ein liebevoll designter Querschnitt durch klassische Wild West-Szenarien. Man merkt zu jeder Zeit, wie viel Mühe die Entwickler in die jeweiligen Areale gesteckt haben. Hier wirkt nichts kopiert und an anderer Stelle erneut eingefügt. Dass sich hinter den lebendigen Karten ausgerechnet die Unity Engine verbirgt, die uns zuletzt bei Those Who Remain so bitter enttäuscht hat, grenzt daher umso mehr an ein kleines Wunder. Starke Assets, tolle Animationen und atmosphärische Zwischensequenzen…trotz einiger kleinerer Schwächen (unter anderem bei der Kantenglättung) sieht Desperados III über sämtliche Plattformen richtig modern aus und ist sogar noch eine Ecke schöner geraten als der geistige Vorgänger Shadow Tactics: Blade of the Shogun. 

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Gerade Stadtgebiete wie New Orleans, in denen man sich während der dazugehörigen Missionen relativ frei bewegen kann, sind den Entwicklern richtig gut gelungen. Die zahlreichen Passanten dienen aber nicht ausschließlich der Optik, sondern haben als Versteck zum Untertauchen auch praktischen Nutzen. Nicht minder viel Sorgfalt haben die verantwortlichen Designer auch in die vielen Innenräume gesteckt. Spätestens wenn man zum ersten Mal Fuß in einen Saloon setzt, fühlt man sich direkt wie in einen guten Film versetzt, mit allem was dazugehört. Hübsche volumetrische Effekte und eine gute Beleuchtung runden das Gesamtbild optimal ab. Für all das verlangt Desperados III gerade mal solide Mittelklassehardware, für natives 4K und maximale Details ist nur wenig mehr nötig. Die Engine ist genügsam und ermöglicht es bereits den Standardmodellen im Konsolensegment, die dort festgelegte Bildrate von 30 Frames bei nativem 1080p durchgehend problemlos zu erreichen. Probleme mit der Performance gibt es auch auf XBOX One X und PlayStation 4 PRO nicht, dafür lösen die erweiterten Modelle ebenfalls in nativem 4K auf, was sich visuell immer wieder eindrucksvoll zeigt. Trotzdem sehe ich den PC minimal vorne, denn nur dort bekommt man dank unbegrenzter Bildraten den bestmöglichen Spielfluss geboten. Weil für so ein Spiel aber auch die 30 Frames der Konsolenfassungen absolut ausreichend sind, reden wir hier allenfalls von Nuancen, die nicht einmal einen Punktabzug wert sind.

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Zur Bedienung haben wir ja bereits das ein oder andere Wort verloren, aber wie steht es mit der akkustischen Kulisse? Auch hier macht Desperados III alles richtig. Ein klassischer Westernsoundtrack und exzellente deutsche Sprecher runden den hervorragenden Gesamteindruck des Spiels optimal ab. Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass wir es hier mit einem klassischen Einzelspielertitel zu tun haben. Mehrspielermodi aller Art sucht man also vergeblich, was aber in dem Genre auch eher ein Novum wäre, deren Umsetzung das implizierte Spielgefühl wahrscheinlich ad absurdum führen würde. Ein Karteneditor, mit dem man sich seine eigenen Herausforderungen basteln kann wäre aber eine wunderbare Ergänzung gewesen. Andererseits besteht die gute Hoffnung, dass die Entwickler selbst in Zukunft die ein oder andere Erweiterung nachreichen. Verdient hätte es das Spiel allemal, trotz kleinerer Makel wie den gelegentlichen Wegfindungsschwierigkeiten im Showdown-Modus oder den manchen etwas zu übermächtigen Fertigkeiten. Aber all das sind Sachen, die man problemlos mit einem Update aus der Welt schaffen könnte. Und selbst wenn nicht, ist ganz klar: Die beste Echtzeit-Taktik kommt momentan aus Deutschland. 

Fazit und Wertung

55957770 2311144785603906 1491509483245928448 o„Wo einen die Remaster von Commandos: Hinter feindlichen Linien und dessen direktem Nachfolger nach all den Jahren spielmechanisch doch eher kalt lassen, sorgt Desperados III aus heiterem Himmel für den perfekten Mix aus klassischen und modernen Spielmechaniken und erweist sich mit weitem Abstand als neuer Genreprimus. Genau das fehlt der Branche momentan so sehr: Statt alte Titel immer wieder aufgehübscht auf den Markt zu werfen und alles wirklich modernisierungswürdige konsequent zu ignorieren, hat Mimimi Games den Schritt in die Zukunft gewagt und eindrucksvoll bewiesen, dass mit der richtigen Herangehensweise auch Altbekanntes wieder frisch wirken kann. Leidenschaftliche Taktiker und solche die es werden wollen, finden momentan nichts Besseres auf dem Markt. Desperados III ist ein klarer Anwärter für den nächsten Deutschen Computerspielpreis. Und nicht zuletzt einfach auch ein verdammt gutes Game.“ 

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PRO: 

+ Tolle Wild West-Stimmung mit viel Liebe zum Detail
+ Weitläufige, handwerklich makellos gestaltete Karten…
+ …die sich visuell allesamt deutlich voneinander unterscheiden
+ Toll designte Innenareale
+ Ansehnliche Beleuchtung und Effekte
+ Atmosphärische Zwischensequenzen
+ Glaubwürdig in Szene gesetzte Charaktere…
+ …mit eigenen Stärken und Schwächen…
+ …die es immer wieder geschickt zu kombinieren gilt
+ Solider Gesamtumfang
+ Dank mehrerer Lösungsmöglichkeiten hoher Wiederspielwert
+ Viele tolle Komfortfunktionen, darunter die vorbildliche Speichererinnerung
+ Umfangreiche Tutorials
+ Drei verschiedene Schwierigkeitsgrade…
+ …plus mehreren Möglichkeiten zur individuellen Herausforderungsgestaltung
+ Fordernd, aber nie unfair
+ Atmosphärischer Soundtrack
+ Hervorragende deutsche Sprecher
+ Unaufgesetzt wirkende Humoreinlagen

CONTRA:

– Relativ belanglose Rahmenhandlung
– Etwas fummelige Bedienung über sämtliche Plattformen
– Manche Fähigkeiten etwas zu mächtig
– Für Einsteiger selbst auf dem einfachsten Schwierigkeitsgrad nicht immer frustfrei
– Gelegentliche Wegfindungsprobleme im Showdown-Modus

                                              GESAMTWERTUNG:     8.9/10

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