Ein junger General befindet sich zu diesem Zeitpunkt in der dritten Klasse. Mit Fußball hatte er nie viel zu tun. Er fuhr lieber Fahrrad. Das hatte zur Folge, dass er beim Sport entweder auf der Bank sitzenblieb, oder aber der Notnagel war, der am Ende einem Team zugewiesen werden wollte, welches genau wusste, dass er ihm keine Hilfe sein würde. Obgleich er nicht wusste, was Abseits ist und sein Ballgefühl ebenso stark ausgeprägt war wie die Intelligenz der Frauen bei Tinder, gelang es ihm dennoch, ein Tor zu schießen. Es sollte das letzte Tor seiner realen Fußballkarierre sein, direkt danach gab er auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn den Rücktritt vom Sport bekannt. Stattdessen tat er, was meist jeder tat – er investierte sein hart verdientes Taschengeld in Pannini – Sammelbilder der Fußballweltmeisterschaft. Nicht, dass er viel davon verstand. Aber die Sammelleidenschaft und das Tauschen auf dem Schulhof (mit dicken, leicht nach Klebstoff riechenden Päckchen, die von Gummibändern umschlossen waren), bereitete ihm Freude. Es gelang ihm dennoch nie, das Album vollständig zu füllen. Bis heute fehlt ihm der damalige Torhüter der englischen Nationalmannschaft, David Seaman. Es war nur einer von zahlreichen zerschmetterten Träumen im Leben des jungen Militaristen.
Zu einer Zeit, in der Menschen scharenweise vor ALDI Schlange standen, um günstig gefertigte Computersysteme und Zubehör zu erstehen, brachte ihn die Restleidenschaft für den Sport trotz mangelndem Verständnis der Materie erstmals mit einem virtuellen Fußballtitel in Kontakt:
Wer alt genug ist, sich an FIFA 98 zu erinnern, wird umgehend an zwei Dinge denken. Zum einen den Footy – Cheat, der dafür sorgte, dass die gegnerischen Spieler wie die Besoffenen umfielen und dadurch Tor um Tor ermöglichten…zum anderen, und das ist bedeutend wichtiger, das legendäre Theme.
1999-2006
Right about now, Funksoul Brother! (FIFA 99)
Das Jahr 1999 war ein aufregendes Jahr. Die Angst vor dem Millennium ging um sich, damit auch vor einem internationalen Zusammenbruch sämtlicher Computersysteme. Hach, wäre das ein Spaß gewesen. Der noch immer junge General wagte sich an FIFA 99, sein Spielverständnis hatte sich nicht erweitert. Es mag an der Abwesenheit des großen, mitreißenden Turniers gelegen haben, dass ich mit FIFA 99 bereits Schwierigkeiten hatte, warm zu werden. Bundesliga interessierte mich nicht. Tut es heute noch nicht.
„Scheiße, ist dir mal aufgefallen, dass wir alle gleich aussehen?“ – „Nö. Nö, da musst du dich täuschen. Der da hinten ist blond! Sieht man doch!“
Und auch die anderen Modi abseits der üblichen internationalen Freundschaftsspiele konnten meine Begeisterung nicht wecken. All die Namen in den ganzen Kadern…ich konnte mit keinem etwas anfangen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt könnte man mir die Frage stellen, worauf ich mit diesem Artikel eigentlich hinaus will und warum ich am Ende dann doch zurück zum FIFA finden möchte. Abwarten, werter Leser!
2002: Die Fußballweltmeisterschaft findet in Südkorea statt.
Falls jemand noch jung genug ist, sich daran zu erinnern: FIFA 2002 hatte neben eine der genialsten Themesongs, nämlich „19-2000 (Soulchild Remix)“ von den Gorillaz, auch noch eine weitere Besonderheit – es war einer von zwei FIFA – Titeln, die in jenem Jahr erschienen. Das lag daran, dass mal wieder eine Weltmeisterschaft abgehalten wurde und man nicht beides vermischen wollte. Also beschäftigte sich das Hauptspiel mit Bundesliga und Co, während das WM – Spiel eben seinen Hauptfokus auf das große Turnier richtete. Obgleich ich das Hauptspiel nicht sonderlich ansprechend fand, zog mich doch der WM – Ableger massiv in seinen Bann. Das lag zum einen an der großartigen, bunten Inszenierung, mit seinen gewaltigen Stadien und dem Konfetti, zum anderen an dem großartigen Soundtrack (Vangelis – Anthem) und der meiner Meinung nach viel schöneren Grafik. Außerdem gab es die Demo zum Spiel (Ja, damals gab es noch Demos) für den Preis von 1€ bei McDonald’s! Und außerdem jede Woche einen anderen „Länderburger“. Ich würde heute nie wieder 1 Stunde für einen McAfrika anstehen, soviel steht fest. Die WM verfolgte ich dagegen mit Begeisterung. Geniale Atmosphäre steckt mich einfach immer an. Und ebenso wieder diese widerliche Leidenschaft für Sammelbildchen.
Von da an jedoch legte ich wirklich eine lange Pause ein. Das hatte mehrere Gründe. Zum einen war mein PC scheiße und zum anderen besaß ich keine PlayStation 2, auf der FIFA hauptsächlich gespielt wurde. Ich blieb bei Neuveröffentlichungen also zumeist außen vor und bekam nur noch am Rande Verbesserungen mit. Wobei mein persönliches Gefühl mir vermitteln wollte, dass gerade zwischen 2003 und 2006 kaum Neuerungen ihren Weg ins Spiel fanden. Aber das ist rein subjektiv. Den ehemaligen Freundeskreis hatte ich ohnehin nicht mehr, sofern überhaupt als solchen zu bezeichnen, daher war mir das alles mittlerweile ziemlich egal geworden. Der Sport, das Spiel…alles banal. Ich wandte mich Titeln wie Need for Speed und so ziemlich jedem Aufbauspiel und Shooter zu, den ich in die Finger kriegen konnte und am kraftvollen PC meines Vaters zocken durfte. Zuhause warteten dann PlayStation 1 und ein durch eine verhängnisvolle Beigabe der N-Zone verunstaltete Nintendo 64 – Konsole auf mich.
2006 – Die FIFA – Weltmeisterschaft findet in Deutschland statt
Rudelgucken. Goleo und Pille. Fanmeile. Oliver Neuville. Begriffe, die untrennbar mit der Weltmeisterschaft 2006 verbunden waren. Nie gekannter Patriotismus war zu erleben, wohin man auch ging, alles war auf WM getrimmt. Deutsche Flaggen hingen an jedem Fenster, an jedem Balkon. Die Deutschen genossen die Spiele bei bestem Wetter auf großen Plätzen oder auf dem heimischen Balkon beim Grillen. Dieses Großereignis, welchem niemand entkommen konnte, entfachte auch bei mir Faszination und Begeisterung. Ich hatte viel Spaß dabei, zusammen mit Kumpels auf dem Sofa zu jubeln, während wir eine Pizza nach der anderen aus dem Ofen zogen und ein Bier nach dem anderen leerten. Gewann Deutschland, war der Tag perfekt. Am Ende wurde es Platz 3, ein seinerzeit erfreuliches Ergebnis. Deutschland klatschte Portugal mit 3:1 weg, Italien besiegte Frankreich nach zähem Elfmeterschießen und der große Skandal um Zinedine Zidanes Kopfstoß schrieb Geschichte, an die man sich auch heute noch erinnert. Es war ein großartiger Sommer und die riesige Party auf der Fanmeile blieb ebenfalls in gutem Gedächtnis. Anders dagegen das katastrophale Logo, welches mehr an einen Verbund aus Kiffern erinnerte. Und auch Gröne Herbertmeyer bewies schon vor 10 Jahren, dass er zu vielem taugt, nur noch zu Turnierthemen. So kam ich dann auch zurück zu FIFA, allerdings nur für ein Jahr, zumal ich mich auf das Hauptspiel beschränkte, welches ohnehin die WM erneut für einen anderen Titel außen vor lies. Danach verlor ich für sehr, sehr lange Zeit gänzlich das Interesse. Und zwar für ganze vier Jahre.
2010 – Die FIFA – Weltmeisterschaft findet in Südafrika statt
Wie man mittlerweile bereits bemerkt habe mag, waren es gerade die internationalen, kollektiven Turniere, die meine Begeisterung immer wieder aufs Neue entfacht haben. 2010 erging es mir da gar nicht anders. Ob das der Gruppenzwang ist? Oder schlummert tief in mir doch eine gewisse Leidenschaft für den Fußball? Ich habe die Antwort bis heute nicht genau definieren können, aber langsam entwickelt sich eine Tendenz. Deutschland wurde wieder Dritter und die Holländer unterlagen Spanien im Finale. Ja, Holland stand tatsächlich mal in einem WM – Finale.
Wieder vertrieb McDonald’s eine Demo. Das vollständige Spiel lieh ich mir jedoch aus der Videothek aus, einem Ort, an dem ich seinerzeit so viel Zeit verbrachte wie nie zuvor und danach auch nie wieder. Zum Glück hatte mein PC mittlerweile ein Upgrade erhalten. Ich war durchaus beeindruckt, welchen technischen Sprung die Reihe seit meiner Abstinenz gemacht hatte. Man sagte ja, dass all das mittlerweile „lebensecht“ aussehen würde. Aber davon war man natürlich noch ein ganzes Stück entfernt. Wie sollte es danach auch anders sein, spätestens nach der WM war das Interesse wieder weg. Und doch stellte sich eine Veränderung ein. Länderspiele wurden aufmerksam verfolgt, man merkte sich mehr und mehr Namen, verstand Spielabläufe besser und besser und auf große Turniere wie die WM und EM freute man sich insgeheim wie ein Schnitzel. Was genau ein Abseits bedeutet, hatte ich zu der Zeit immer noch nicht verstanden.
2014-Heute
2014 – Die FIFA – Weltmeisterschaft findet in Brasilien statt
2014 veränderte dann alles. Deutschland wurde Weltmeister. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich zitternd und schwitzend voller Nervosität im Stuhl klebte und immer wieder grundlos aufstand, weil die Spannung nicht mehr zu ertragen war. Deutschland im Finale gegen Argentinien. Lange Zeit stand es Null zu Null, es ging in die Verlängerung, bis Mario Götze kurz vor Schluss das 1-0 gelang. In den Straßen wurde geschrien und gejubelt, Tröte, Feuerwerk…der ganze Scheiß eben. Ungeduldig zählte man die letzten Sekunden bis zum Abpfiff, der sich gefühlt wie eine Ewigkeit hinzog. Als dann der Schlusspfiff ertönte und alle feierten, spürte ich diese besondere Erleichterung, dieses Glücksgefühl, während ein ganzes Land jubelte.
Ich verstand, dass der Fußball zwar nichts ist, was mich mein Leben lang dauerhaft begeistern würde, dass er es aber vermochte, eine so kollektive und starke Energie zu erzeugen, der man sich unmöglich entziehen konnte, dass ich ihn auch nicht ignorieren konnte. Das hatte ich viele Jahre getan und doch war es mir nie so recht gelungen. Hinzu kam, dass mittlerweile alle bei Facebook waren, die neuen FIFA – Titeln auf den neuen Konsolen zockten und man über die Social Media – Anbindung und das Ultimate Team eine Menge vom Spiel mitbekam, ohne es tatsächlich je selbst gespielt zu haben. Nach der großartigen Europameisterschaft in diesem Jahr, die mich gerade beim Spiel gegen Italien um 10 Jahre hat altern lassen, kam ein neues Gefühl auf: Der Fußball fehlte mir. Ich hatte so sehr mitgefiebert, so viel gelitten…ich wollte es nicht einfach so loslassen. Und das ist eigenartig, bedenkt man doch, dass ich seit weit über 10 Jahren keinen Ball mehr persönlich getreten habe. Die Leidenschaft bezieht sich auf das Zusehen, gleichermaßen auch auf das virtuelle Spiel. Ich bin eben mehr Gamer als Sportler. Und plötzlich freut man sich auf FIFA 17, welches alsbald erscheinen wird und natürlich auch von uns ausführlich getestet werden wird. Mit Frostbite Engine, Karrieremodus…alles sehr vielversprechend. Ja, tatsächlich freue ich mich sehr darauf. Ob es der Rest der EM ist, der mir noch in den Knochen liegt. Oder doch das Eingeständnis, dass mir der Fußball mehr bedeutet, als ich mir bisher weißgemacht habe…das bleibt immer noch die Frage. Und zu der angesprochenen Tendenz kann ich sagen, dass es wohl mehr die Begeisterung für den Sport ist.
Nun habe ich dank freundlicher Unterstützung von unserem Partner Electronic Arts die Gelegenheit gehabt, besser spät als nie mit FIFA 16 nochmal ins Spiel einzusteigen. Ich erinnerte mich nervös an die zunehmende Schwierigkeit, die Probleme bei den Kontrollen und dass es eben mittlerweile weit mehr ist, als nur Passen und Schießen. Ja, tatsächlich fürchtete ich mich davor, dass die Komplexität des Titels mich derart überfordern würde, dass dieser hauchzarte Anfall von Leidenschaft wieder verschwinden würde, bis die nächste Weltmeisterschaft ansteht. Aber dem war und ist nicht so. Gestern Abend begann ich mit dem Spiel. Auf Semi-Pro. Experten werden mich auslachen. Aber die guten Turorials halfen mir. Und ich gewann mein erstes Spiel gegen Barca. Und freute mich über jedes Tor wie Bolle. Da war es wieder, dieses besondere Gefühl. Ich störte mich auch nicht an den Kommentaren, selbst wenn sie nicht immer passend waren und sich manches wiederholte. Ich teste seit über 10 Jahre WWE – Titel, wie schlimm kann es also noch werden? Außerdem hatte ich mehrere Wochen lang Bela Rethy ertragen, ich war also auch abgehärtet. Zugegeben, ich traue mich nicht, online gegen andere Leute anzutreten. Zwischen Niederlagen und Vergewaltigungen liegt immer ein gewisser Grad. Aber ich entdecke mehr und mehr Facetten, tauche in die Bundesliga ein, mache Transfers und versuche, klug auszuwechseln. Mein Passspiel ist nicht mal übel. Die Grafik gefällt mir schon jetzt, wo noch die alte Technik verwendet wird. Eigenartig…ich habe Spaß. Ich habe zu FIFA zurückgefunden. Unter neuen, erwachsenen Ansätzen. Ich bin bereit, weiterhin bei der Stange zu bleiben. Zu lernen, mich zu freuen und sogar laut zu schimpfen, wenn ich der Meinung bin, ein Freistoß ist ungerecht. Ich sauge die Atmosphäre in mir auf, freue mich schon auf die nächste Partie…und vielleicht, ganz vielleicht, werde ich irgendwann auch verstehen, was Abseits genau bedeutet.