Der Film
Einige Zeit später: Der mittlerweile in Vietnam eingetroffene „Joker“ ist zunehmend unzufriedener mit seiner Arbeit als Kriegsberichterstatter für das Militärblättchen Stars and Stripes. Weit abseits der Front gibt es nur wenig Aufregendes zu berichten, was aber auch ganz im Sinne seiner Vorgesetzen ist, welche die ohnehin stetig sinkende Moral vor Ort und auch in der Heimat nach der verlorenen Tet-Offensive nicht durch neue Hiobsbotschaften weiter abstürzen lassen wollen. Stattdessen soll „Joker“ nun gemeinsam mit seinem unerfahrenen Kollegen Rafterman in den Ruinen der völlig zerbombten Stadt Huê vom heroischen Einsatz der Marines berichten. Vor Ort entpuppt sich die Stimmung allerdings als desaströs, denn der Feind ist längst nicht besiegt und fügt den Streitkräften inmitten der Ruinen immer neue Verluste zu. Hubschrauber aus den eigenen Reihen revanchieren sich mit ziellosen Massakern und machen dabei auch vor der Zivilbevölkerung nicht Halt.
Auf Umwegen landet „Joker“ schließlich bei der Gruppe seines alten Kumpels „Cowboy“ (Arliss Howard, Vergessene Welt: Jurassic Park), die er fortan mit Fotoapparat und gezücktem Stift begleitet. Doch bereits in den ersten Tagen wird die Gruppe durch Attentate und Hinterhalte stark dezimiert und „Joker“ gerät immer wieder in Clinch mit dem aggressiv auftretenden Schützen „Animal Mother“ (Adam Baldwin, Independence Day). Als der kümmerliche Rest der Einheit während einer Patrouille von einem Heckenschützen überrascht wird und der frisch zum Gruppenführer aufgestiegene „Cowboy“ die Bergung der Verwundeten verbietet, müssen sich die Männer entscheiden, wie viele weitere Opfer sie noch kommentarlos für einen Konflikt hinzunehmen bereit sind, der längst nicht mehr gewonnen werden kann…
Die Rezension
Auf den ersten Blick wirkt Full Metal Jacket (die englische Bezeichnung für ein Vollmantelgeschoss) gar nicht wie ein klassischer Kubrick. Der bereits 1999 verstorbene Regisseur hatte zuvor mit Filmen wie 2001: Odyssee im Weltraum und The Shining allerdings bereits bewiesen, dass man ihm kein festes Genre zuordnen konnte. Kubrick´s Kommentar zum Vietnamkrieg macht aber selbst im Rahmen seines eigenen Genres alles ein bisschen anders als der Rest. Hier beginnt das Grauen nicht unmittelbar an der Front, sondern bereits während der Grundausbildung. Durch gezielte Entmenschlichung werden die Rekruten zu emotionslosen Killermaschinen transformiert, denen das Töten im besten Fall Freude bereitet. Dieser Abschnitt nimmt beinahe die Hälfte der knapp zweistündigen Gesamtlaufzeit ein, was ohnehin schon deutlich unter den epochalen Ausmaßen eines Apocalypse Now! agiert.
Und erinnert man sich heute an Full Metal Jacket, bleiben einem genau diese Szenen viel eher im Kopf als alles, was dem folgt. Das kann man zu großen Teilen dem legendären R. Lee Ermey verdanken, dessen unvergessene Darstellung des brutalen Gunnery Sgt. Hartmann ebenso wie viele seiner Zitate bis heute in der Popkultur präsent sind. Dabei war Ermey, der selbst bei den Marines gedient hat, Gerüchten zufolge erst gar nicht für die Rolle vorgesehen, sondern sollte lediglich beratende Tätigkeiten ausfüllen. Erst als er Kubrick angeblich mit seinen Tiraden derartig zusammengefaltet hat, dass dieser in Schockstarre verfiel, konnte er den als ewigen Perfektionisten verschrienen Regisseur von seinen Qualitäten überzeugen. Der Anfang einer langen Schauspielkarriere, die bis zum Tod des Darstellers Anfang 2018 andauern sollte.
Dabei war Full Metal Jacket anfangs alles andere als ein Kassenschlager. Kritiker lobten zwar die erste Hälfte des Films, bewerteten alles im Anschluss aber als innovationsarm und repetiv. Tatsächlich hat kein Mitglied der Crew für die Dreharbeiten jemals asiatischen Boden betreten, stattdessen wurde der Hafen von London samt einiger Lagerhallen kurzerhand ins zerstörte Huê verwandelt. Dass man davon nichts merkt, verdankt man übrigens Production Designer Anton Furst. Dennoch mauserte der Film sich mit der Zeit zum Kultklassiker, der hinter seinen Fassaden und bei aller anfänglichen Kritik doch ein ganz klassischer Kubrick ist: Perfekt in jeder Einstellung und von Anfang bis Ende fantastisch gespielt. Keine direkte Kritik am Krieg, sondern eine schonungslose Abbildung der Realität und verfallender Moral im Angesicht einer sicheren Niederlage. Als solche sticht der Film zwischen ähnlichen Werken stets heraus und wirkt selbst dreißig Jahre später so effektiv wie am ersten Tag.
Die UHD: Das Bild
Schon 2001: Odyssee im Weltall und The Shining zählten für mich im letzten Jahr zu den besten Neuauflagen im 4K-Segment und konnten zumindest beim Bild auf ganzer Linie überzeugen. Für Full Metal Jacket beschritt Warner ähnliche Pfade und ließ den Film unter Aufsicht von Kubrick´s ehemaligem Assistenten Leon Vitali vom originalen 35mm-Material komplett neu in 4K abtasten. Dementsprechend präsentiert sich die UHD als native Scheibe, was (leider) immer noch eine kleine Seltenheit darstellt. Dazu gibt´s einen erweiterten Farbraum nach Rec.2020 sowie Support für HDR10. In diesem Fall zeigt sich im Ergebnis wieder mal eindrucksvoll, wie gut ältere Filme mit der richtigen Behandlung versehen in der Gegenwart ausschauen können. Das neue Master wischt mit sämtlichen bisherigen Veröffentlichungen inklusive der bereits seit Jahren erhältlichen Blu-Ray hemmungslos den Boden auf und stellt im direkten Vergleich ein massives Qualitätsupgrade dar. Dies aber wirklich ausschließlich in Form der UHD, denn die beiliegende Blu-Ray bleibt inhaltsgleich zu den alten Veröffentlichungen und hat dementsprechend lediglich das alte Master an Bord.
Nahaufnahmen zeigen Unmengen feiner Details, die über alle bisherigen Veröffentlichungen so gar nicht zu sehen waren. Auf den kahlgeschorenen Köpfen der neuen Rekruten lassen sich die Stoppeln ebenso zählen wie die einzelnen Nähte auf deren Uniformen. Sagenhaft, wie viel Definition die Neuabtastung aus dem Originalmaterial herauskitzelt! Im Hintergrund sieht´s nicht viel schlechter aus, was besonders ab der zweiten Hälfte des Films klasse zur Geltung kommt. Ob es nun einzelne Patronenhülsen auf dem Boden sind oder weit entfernte Schriftzüge an Hauswänden, alles ist messerscharf erkennbar. Lediglich ein paar weiche Shots wie beispielsweise das Posieren mit dem toten Vietcong sind erhalten geblieben, was aber wahrscheinlich nicht anders zu machen gewesen ist, da die Aufnahme in dieser Form schon so auf dem Originalnegativ vorhanden gewesen ist. Körnung ist ein omnipräsentes Element des Films und mag gemessen an modernen Sehgewohnheiten und vollständigen digitalen Herstellungsprozessen auf den ersten Blick störend wirken, passt aber super zum Setting und gehört altersbedingt ohnehin zum analogen Film wie Butter auf ein Nutellabrot. Es ist anzunehmen, dass die für die Neuabtastung und das anschließende Remaster verantwortlichen Personen hier zumindest gelegentlich etwas mit Rauschfiltern gearbeitet haben, ohne dabei jedoch den ursprünglichen Look negativ zu beeinflussen. Also nicht so extrem wie beispielweise zuletzt bei der Originaltrilogie von Star Wars, wo die Körnung stellenweise komplett festgefroren ist.
Umso positiver fällt auf, dass das Bild selbst in dunkleren Szenen stabil bleibt und beinahe referenzverdächtig gut durchzeichnet. Das verdankt man nicht zuletzt auch der gelungenen Kontrastgebung. Gerade bei den Schwarzanteilen kann die UHD extrem zulegen, selbst bei ganz wenig Licht gehen keine Details verloren. Daran alleine merkt man die Kunst Stanley Kubrick´s, wirklich jede noch so kleine Einstellung perfekt auszuleuchten. Eine Tatsache, die sich nun endlich auch abseits der Kinoleinwand daheim voll und ganz entfalten kann. Farben wirken allgemein kraftvoller als über die Blu-Ray. Während der Ausbildung geht es bewusst monoton her, hier dominierend Grün- und Grautöne das Geschehen und vermitteln ein Gefühl von Trostlosigkeit. „Vietnam“ dagegen ist von der ersten Szene an eine kleine Offenbarung. Hier lässt der Film viel mehr Farbvielfalt zu und begibt sich in merklich wärmere Gefilde. Saftgrüne Palmen, sattes Orange bei Feuer…allesamt schöne Highlights bei durchgehend natürlichen Hauttönen. Viel mehr kann man aus dem Material wohl nicht herausholen.
Die UHD: Der Ton
Wer sich mal ein bisschen durch die filmische Vita von Kubrick geschaut hat, wird wahrscheinlich bemerkt haben, dass Audiophilie nicht unbedingt zu den großen Stärken des Meisters gezählt hat. So eben auch Full Metal Jacket, dessen Ton ursprünglich im schnöden Monoformat abgemischt wurde. Erst mit dem Aufkommen digitaler Medien wurde nachträglich ein Mix in Dolby Digital 5.1 angefertigt, der seitdem auch weltweit in den jeweiligen Sprachen zum Einsatz gebracht wird. Das ändert sich typisch Warner auch mit der UHD nicht, die besagte Tonspur komplett von DVD und Blu-Ray übernimmt. So richtig schlimm ist das aber ausnahmsweise nicht, denn bedingt durch den Einkanalursprung des Films wäre selbst ein neuer Mix im zeitgemäßeren Format höchstens minimal besser gewesen. Für einen Kriegsfilm bleibt es daher überraschend frontlastig, generell wachen die Rücklautsprecher erst in der zweiten Hälfte aus dem Tiefschlaf auf.
Dann bleibt es bei einigen wenigen einprägsamen Effekten, denen aber die Kraft und Direktionalität aktueller Produktionen komplett fehlen. Genauso verhält es sich beim Originalton, der immerhin ein Upgrade auf eine verlustfreie Masterspur im Format DTS-HD MA 5.1 erfahren hat und insgesamt etwas definierter rüberkommt. Weil wir es hier mit einer klassischen Produktion aus den Achtzigern zu tun haben und die Synchronisationstechnik damals noch nicht so ausgereift war wie es heute der Fall ist, muss man sich bei der deutschsprachigen Tonspur auch mit etwas dumpf klingenden Dialogen im Center arrangieren. Da schneidet die neue englische Spur wesentlich besser ab, auch die Bässe kommen kraftvoller zur Geltung. Alles in allem bleibt das Geschehen aber authentisch und passt sich dem Alter des Films an. Verschmerzbar sind die Unterschiede aber allemal. Hätten wir es hier mit einer aktuellen Veröffentlichung zu tun, wäre die Wertung sicher ganz anders ausgefallen.
Die Extras
Das Gute an international gleichen Veröffentlichungen ist oftmals, dass man in den Genuss von Bonusmaterial gelangt, der einem seinerzeit noch vorenthalten worden ist. So mag es hier und da außerhalb unserer Landesgrenzen keine großen Überraschungen bei den Extras geben, deutschsprachige Konsumenten dürfen sich jedoch erstmals auf die halbstündige Doku zum Film mit tonnenweise Hintergrundinformationen sowie Interviews mit Cast und Crew freuen, die für Fans des Films absolutes Pflichtprogramm darstellt und sogar in HD verfügbar ist.
Dazu gibt´s einen Audiokommentar mit den Darstellern Matthew Modine, Adam Baldwin und R. Lee Ermey, ebenfalls mit dabei ist Drehbuchautor Jay Cocks. Zugegeben, es gab schon interessantere Audiokommentare, aber alleine die verschiedenen Betrachtungsweisen der einzelnen Personen auf ihre Erlebnisse am Set und die Zusammenarbeit mit dem schwierigen Kubrick machen die ganze Sache dennoch recht spannend. Abgerundet werden die Extras mit dem gleichen Trailer, der bereits der alten Blu-Ray als (weiterhin) einzigem Bonus beiliegt.
Fazit
„Bullshit, nur Schwuchteln und Matrosen heißen Lawrence. Und wie ein Matrose sehen Sie mir nicht aus, also da wird die Wahl doch eng! – Es ist anzunehmen, dass Stanley Kubrick nicht die Intention hatte, Sätze wie diese zum Kult zu erheben, als er Full Metal Jacket erschuf. Tatsächlich bietet der Film wesentlich mehr als nur die kreativen Beleidigungen in der ersten Hälfte. Stattdessen bietet er einen schonungslosen Einblick in die Kriegsmaschinerie der Vereinigten Staaten von Amerika während des auf beiden Seiten grausam geführten Vietnamkonfliktes. Hier gibt es kein Gut oder Böse, keine auferzwungene Moral oder gar Helden. In perfekten Bildern und begleitet von den Hits der damaligen Zeit präsentiert sich uns ein zeitloser Blick auf die Sinnlosigkeit des Krieges. Der neue Transfer in nativem 4K rennt allen bisherigen Veröffentlichungen qualitativ im Längen davon, hat beim Ton aber nur Bekanntes zu bieten. Alleine das Bild und die spannende Doku im Bonusmaterial machen Full Metal Jacket in dieser Form aber zum Pflichtupgrade.“
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