Scarlet Nexus – „Einmal Gehirn mit Kabelsalat, bitte!“

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                                                     Getestet und verfasst von General M 

811GWdkOI9L. SL15001 Wohin man momentan auch blickt: Gänzlich neue Marken sucht man am Spielehimmel fast vergeblich. Stattdessen setzen die Macher im Mainstream lieber auf Sequels zu bereits etablierten Franchises. Frischen Wind verspricht dagegen Bandai Namco und hat mit Scarlet Nexus eine komplett neue IP aus dem Boden gestampft, die nicht nur in Form eines Spiels, sondern sogar einer dazugehörigen Animeserie aufschlägt. Versprochen werden ein originelles Setting, rasantes Gameplay und packendes Storytelling. Tatsächlich ließ die Vorschau einigen Grund zur Vorfreude aufkommen. Nun muss die Vollversion beweisen, ob sich das Wagnis ausgezahlt hat, oder hinter dem schönen Stein doch wieder nur Fließbandkost steckt. Das und mehr klärt unser gewohnt umfangreicher Test. 

               Hinweis: Sämtliches Bildmaterial wurde auf der XBOX Series X aufgenommen. 

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Denken lohnt sich wieder 

Ein Blick in das reguläre Nachmittagsprogramm gängiger Fernsehanbieter wirft immer schnell die Frage auf, wie manche Menschen es schaffen, ganz ohne Gehirn zu existieren. In der alternativen Gegenwart von Scarlet Nexus ist man da schon ein ganzes Stück weiter. Dort hat man nämlich irgendwann entdeckt, dass das menschliche Denkzentrum zu viel mehr in der Lage ist. Fleißige Forschungen fördern Geisteskräfte zu Tage, von denen man bisher nicht einmal zu träumen wagte. Leider nicht immer mit gutem Ausgang, denn die zahlreichen Experimente brachten nicht nur Superkräfte, sondern auch Supermonster ins Leben. Diese sogenannten Anderen terrorisieren die Weltbevölkerung seitdem immer wieder und haben eine kulinarische Vorliebe für Gehirne entwickelt. Die Menschheit reagiert mit der Gründung einer ganz neuen Spezialeinheit und vereint unter dem Banner der Anderen-Abwehr-Streitkräfte (kurz AAS) jeden talentierten Psioniker, ob er nun will oder nicht. 

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Zu Spielbeginn müssen wir uns entscheiden, ob wir das kommende Abenteuer entweder in der Rolle des mit komplizierter Familiengeschichte versehenen Yuito Sumeragi oder der mysteriösen Kasane Randall bestreiten wollen. Beide sind blutjunge Anfänger bei der AAS und werden von jeweils ganz eigenen Motiven angetrieben. Dass beide Schicksale irgendwie miteinander verbunden sind, wird schnell deutlich. Die genauen Zusammenhänge offenbaren sich aber erst nach und nach. Während die Hauptmissionen stets identisch verlaufen, ergeben sich dank unterschiedlicher Begegnungen und Nebenaufgaben trotzdem zwei sehr verschiedene Pfade. Um die komplette Geschichte zu verstehen, muss man das Spiel also mit beiden Charakteren durchspielen, ausreichend Motivation dafür wird zum Glück geboten. Praktischerweise kann man bisherige Fortschritte auf Wunsch gleich in den nächsten Durchgang mitnehmen. Drei jederzeit frei wählbare Schwierigkeitsgrade liefern sowohl Einsteigern als auch Genreprofis eine passende Herausforderung, auch wenn das Balancing nicht immer perfekt ist. Aber selbst ein paar härtere Nüsse lassen sich nach ein wenigen Neuversuchen erfolgreich knacken.    

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Das unverbrauchte Setting hat definitiv seinen Reiz und trägt neben der mit vielen Überraschungen gespicktene Geschichte einiges dazu bei, dass selbst bei meinem zweiten Durchgang nie Langeweile oder sowas wie Leerlauf aufgetreten sind. Man merkt, dass die Entwickler viel Liebe in die visuelle Gestaltung der Welt mitsamt ihrer Helden investiert haben. Ausreichend Fundament für ein paar Sequels ist definitiv vorhanden. Zunächst werden aber aller Wahrscheinlichkeit einige kostenpflichtige Zusatzinhalte dafür sorgen, dass Kasane und Yuito nicht nach einem neuen Arbeitgeber suchen müssen. Wann die genau erscheinen, steht aber gegenwärtig noch in den Sternen. Die dazugehörige – hierzulande übrigens beim Streamingdienst Wakanim abrufbare – Serie sollte man übrigens erst ansehen, wenn man das Spiel mindestens einmal komplett absolviert hat. Normalerweise erscheinen Spiele ja als Begleiter zu Serien, in diesem Fall ist es aber genau umgekehrt. 

Chillen mit den Homies

Komplettisten dürfen sich auf eine gut fünfzig Stunden lange Reise einstellen, nerviger Grind bleibt einem dabei dankbarerweise erspart. Wer allerdings nur die allernötigsten Aufgaben absolviert, sieht den Abspann natürlich deutlich schneller. Empfehlenswert ist das alleine schon deswegen nicht, weil einem dadurch ein Großteil der zahlreichen, mit angenehm viel Tiefe geschriebenen Nebencharaktere entgeht. Von denen gesellen sich nach dem Prolog nämlich immer mehr in unsere Truppe – und jeder davon erzählt seine ganz eigene Geschichte.  Regelmäßige Interaktion mit den Mitstreitern oder sogar das Überbringen kleiner Aufmerksamkeiten vertiefen unsere Bande immer weiter, wofür uns die Kumpanen auf dem Schlachtfeld mit stetig mächtigeren Fähigkeiten unterstützen. Und gerade die machen das Gameplay von Scarlet Nexus erst so richtig unterhaltsam! 

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Während die beiden Titelhelden als begabte Anwender der Psychokinese von der Parkbank bis zum Kleinbus eine Vielzahl beweglicher Objekte als Wurfgeschosse einsetzen können, bringen unsere Teammitglieder komplett andere Fähigkeiten ins Spiel, auf die wir beliebig zugreifen können. Pyrokinese beispielsweise erhöht nicht nur den Angriffsradius unserer Attacken, sondern versieht diese auch noch mit Feuerschaden. Ein anderer Mitstreiter lässt die Truppe kurzerhand unsichtbar werden und ermöglicht verheerende Hinterhalte. Das sind nur zwei von vielen verschiedenen Beispielen, die sich allesamt immer wieder neu kombinieren lassen und dadurch eine Dynamik entstehen lassen, welche andere Genrevertreter lange Zeit vermissen ließen. Dazu gesellt sich noch ein eigenständiger Fertigkeitenbaum, der sich jeweils in drei verschiedene Richtungen entwickeln lässt und das eigene Moveset stetig erweitert oder verstärkt. In der Praxis geht all das dann überraschend angenehm von der Hand. Mithilfe weniger Tasten lässt sich das gesamte Arsenal der Gruppe inklusive stylisher Finisher problemlos entfesseln. Ferner lässt sich frei bestimmen, wie eigenständig unsere Squad agieren darf und ab wie vielen Lebenspunkten zur Heilung übergegangen wird. Besonders im Kampf gegen die gleichermaßen mächtigen wie widerstandsfähigen Bosse ein nützliches Feature. 

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Zwischen den Einsätzen können wir nach Belieben in bereits erkundete Areale zurückkehren, um noch ein paar Materialien oder etwas Erfahrung zu sammeln, oder wir vertreiben uns die Zeit, indem wir ein Schwätzchen mit den Bewohnern der Großstadt abhalten. Letzteres lohnt sich aber kaum, weil die NPC´s ihre wenigen Sätze schnell wiederholen und zudem auch keine neuen Aufträge anbieten. Dann lieber via Schnellreise ins Versteck, wo unsere Gruppenmitglieder in regelmäßigen Abständen mit neuen Vertrauensmissionen locken, die uns bei erfolgreichem Abschluss mit der nächsten Stufe Verbündetentalente belohnen. Eine Menge neuer Informationen über den jeweiligen Charakter gibt es kostenlos obendrauf. Statt opulenter Zwischensequenzen wird jedoch wie beim Großteil des restlichen Spiels auch hier kaum mehr geboten als spärlich animierte Charakterfenster und Standbilder, untermalt von jeder Menge Text. Jeweils sehr gute englische oder japanische Sprecher begleiten die sauber lokalisierten Untertitel. Wer aber keiner der beiden Sprachen mächtig ist, muss sich auf eine Menge Lesestoff einstellen.     

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Wie bei allem, was seinen Weg aus japanischen Unterhaltungsgefilden in den Rest der Welt findet, gilt auch bei Scarlet Nexus die Devise „Entweder mag man es, oder man hasst es“. Nicht selten muten einem die Dialoge wie eine Mischung aus Science Fiction und Daily Soap an. Schließlich kämpfen in den Reihen der AAS primär Teenies und die haben als solche nun einmal ihre ganz eigenen Sorgen. Sicher nicht zufällig erinnert einen das gesamte Konzept der sozialen Interaktion an ein Persona. Wer sich damit schon nicht arrangieren kann, wird auch hier schnell genervt den Ausschalter betätigen und dabei auch das gelungene Setting samt Gameplay nicht weiter berücksichtigen. Bevor ihr euch als einfach nur an meiner persönlichen Wertung als Fan der japanischen Kultur orientiert und am Ende böse enttäuscht werdet, empfehle ich euch den Blick auf die kostenlose Demo oder ein paar Videos im Netz. 

Gute Technik mit kleineren Mankos

Wie so viele andere Titel der letzten Zeit fußt auch Scarlet Nexus auf der Unreal Engine 4, was man angesichts des comicartigen Looks aber auf den ersten Blick kaum wahrnehmen dürfte. Der visuelle Ansatz passt aber hervorragend zum Setting und macht gerade in Sachen Beleuchtung und Effektdarstellung guten Gebrauch von den Vorzügen des Grafikmotors. Die Assets sind über sämtliche Plattformen identisch, dafür gibt es wenig überraschend einige Unterschiede bei Auflösung und Performance. Die beiden Basismodelle der letzten Konsolengeneration, nämlich XBOX One S und PlayStation 4, lösen beide in nativem 1080p auf. Maximal 30 Frames pro Sekunde sind hier möglich, durchgehend haltbar sind die auf der veralteten Hardware aber nicht. Besonders im dichten Kampfgetümmel zeigt sich die Bildrate relativ wankelmütig, gut spielbar bleibt der Titel aber trotzdem. Weil über beide Plattformen aber sehr schwaches anisotropes Filtering zum Einsatz gelangt, bleibt der optische Gesamteindruck trotz solider Auflösung relativ matschig. 

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Besser sieht es da schon auf den erweiterten Modellen aus. XBOX One X sowie PlayStation 4 PRO lösen bereits in echtem 4K auf und liefern stabilere – wenn auch weiterhin nicht perfekte –  Bildraten als die Basismodelle. Es bleibt bei maximal möglichen 30 Frames pro Sekunde. Die volle Packung erhalten nur Besitzer eines leistungsstarken PC´s oder Konsolenhardware der aktuellen Generation. Auf der XBOX Series S bleibt es zwar bei 1080p, bessere Filterung und doppelte Frames sorgen trotzdem für ein stark verbessertes Spielgefühl. Das Beste aus beiden Welten findet schlussendlich auf PlayStation 5 und XBOX Series X zusammen. Natives 4K kombiniert mit bis auf gelegentlich auftretende Kleinstschwankungen durchgehend stabilen 60 Frames pro Sekunde münden in einer Erfahrung, die das Auge zufriedenstellt, ohne dabei Einbußen beim temporeichen Gameplay hinnehmen zu müssen. Optische Unterschiede sind nicht auszumachen, lediglich bei den ohnehin drastisch verbesserten Ladezeiten ist die XBOX Series X einen Ticken schneller. Allerdings: Bei Wartezeiten, die ohnehin nicht länger dauern als drei-vier Sekunden machen ein oder zwei Sekunden mehr den Kohl im Grunde auch nicht mehr fett. 

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Beim PC blicken wir auf eine sauber portiere Fassung mit ausreichend Optionen für Feintuning, um das Spiel mit Abstrichen auch auf Mittelklasserechnern flüssig spielen zu können. Anders als zuletzt beim lächerlich schlechten Port der Collection zu Ninja Gaiden übrigens auch mit makellosem Support für alle gängigen Controller. Und zu so einem rate ich hier in jedem Fall, denn via Maus und Tastatur geht die Bedienung alles andere als präzise von der Hand. Plattformunabhängig nervt aber vor allem die überkomplizierte Menüführung. Die ist nicht nur total überladen, sondern lässt einen intuitiv auch immer wieder an die falsche Stelle hüpfen. 

Fazit und Wertung

profilbildapril„Mit Scarlet Nexus ist den Machern ein gelungener Einstieg in ein komplett neues Franchise geglückt. Um das so richtig genießen zu können, sollte man den durch und durch japanischen Stil aber wenigstens im Ansatz mögen. Anderenfalls wird man weder an der wendungsreichen Story mitsamt seinen Charakteren und der hohen Sozialkomponente, noch am allgemeinen Setting großes Vergnügen haben. Alle anderen dürfen sich auf ein spannendes Abenteuer freuen, welches mit rasant-frischem Gameplay und hohem Wiederspielwert aufwartet, in Sachen Erzählstil, Menüführung und Materialverwertung aber hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt. Mir persönlich hat die (erste) Reise von Yuito und Kasane aber trotz dieser Schwächen gut gefallen, die Daumen für eine Fortsetzung sind fest gedrückt. Wer kann, sollte mindestens auf XBOX One X oder PlayStation 4 PRO spielen, noch besser wird´s auf einem guten PC oder neuer Konsolenhardware.“ 

PRO:

+ Schicke Grafik im Comicstil
+ Ansehnliche Beleuchtung und Effekte
+ Unverbrauchtes Setting
+ Zumeist abwechslungsreiche Areale
+ Spannende Story mit einigen gelungenen Überraschungen
+ Interessante Charaktere…
+ …von denen jeder mit einer eigenen Geschichte aufwartet
+ Yuito und Kasane erleben abseits der Hauptmissionen unterschiedliche Ereignisse…
+ …welche erst miteinander kombiniert in einem großen Ganzen resultieren
+ Circa fünfzig Stunden Spielzeit
+ Vielseitiges, gleichzeitig leicht zu erlernendes Gameplay
+ Zahlreiche verschiedene Teamfähigkeiten laden zum Experimentieren ein…
+ …und verbessern sich im Laufe der Vertrauensmissionen immer weiter
+ Viel kosmetische Freiheit
+ Drei jederzeit frei wechselbare Schwierigkeitsgrade 
+ Sauber lokalisierte deutsche Texte
+ Sehr gute englische und japanische Sprecher
+ Passender Soundtrack
+ Zugängliche Bewegungs- und Kampfsteuerung via Gamepad

CONTRA:

– Steif inszenierte Dialogsequenzen…
– …die ab und an inhaltlich etwas zu viel GZSZ-Charakter haben
– Unspektakuläre Materialverwertung
– Großstädte nahezu immer gleich aufgebaut
– NPC´s kaum mehr als seelenloses Füllmaterial 
– Gelegentlich schwankende Lernkurve
– Unpräzise Maus- und Tastatursteuerung
– Unübersichtliche, extrem fummelige Menüs

                                           GESAMTWERTUNG:     8.2/10

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