Madden NFL 23 – „Auf Sand gebaut“

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                                                         Getestet und verfasst von Exe

814l739ETDL. SL1500 Jemand hat mal gesagt: „American Football ist eine dieser Sportarten, die niemand versteht und dennoch jeder einschaltet.“ Kein Wunder, denn im Heimatland genießt der Kampf um das Leder gottgleiche Verehrung, der Superbowl als Highlight einer jeden Saison wird pompöser aufgezogen als alles andere und selbst hierzulande bleiben jedes Jahr Millionen wach, um das Ereignis nicht zu verpassen. Bei stetig steigender Beliebtheit darf selbstredend auch das jährliche Update der dazugehörigen Videospielreihe nicht fehlen. Madden NFL 23 verspricht einmal mehr zahlreiche Verbesserungen bei Grafik und Co., bleibt im Kern aber wieder einmal kaum mehr als ein halbgares Update zum vollen Preis…inklusive vieler altbekannter Fehler. 

                     Hinweis: Sämtliches Bildmaterial wurde auf der PlayStation 5 erstellt. 

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Instabiles Fundament

Mit jedem Jahr, zu jedem Release von FIFA und Co., gehe ich zur Vorbereitung nochmal die vorherigen Reviews durch. Ich schaue, was mir gefallen hat, wo essentielle Verbesserungen vorhanden waren und welche Baustellen ich den jeweiligen Titeln ankreiden musste. Halte ich dann endlich den neuen Ableger in den Händen, wird darauf basierend geprüft, inwieweit sich die Macher meiner Kritik und jener der Fans angenommen haben. Je länger Probleme unberührt bleiben, desto größer die Abwertung im Folgejahr. Haben sich verbesserungsfähige Features nicht weiter verbessert, gilt das gleiche Prinzip: Was im Jahr 2020 vielleicht noch positiv auffiel, kann zwei Jahre später schon wieder stagnieren und muss entsprechend geahndet werden. Ich möchte euch vorab diesen Einblick in meine Wertungskriterien geben, damit ihr versteht, warum mich Madden NFL 23 über weite Strecken so sehr enttäuscht. 

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Denn hinter den vielen Versprechungen und toll klingenden Namen wie Hit Stick und FieldSENSE verbirgt sich in der Praxis auch nicht mehr als das, was man in irgendeiner Form bereits aus den Vorgängern kennt – mit dem Unterschied, dass es damals besser funktioniert hat. Teilweise hat man sich hier Features bedient, die bereits vor fast zehn Jahren Teil der Reihe waren und dann irgendwann einfach eingestampft worden sind, nur um in der Gegenwart wieder als tolle Neuerungen beworben zu werden. Irgendwie verständlich, zumindest aus unternehmerischer Sicht. Spiele zu entwickeln kostet Geld. Viel Geld. Gerade bei den jährlichen Vollpreisaufgüssen im Bereich Sport und Simulation muss man die zahlungskräftige Kundschaft bei Laune halten. Und die zahlreichen Affiliate Partner auf YouTube und Co. tun ihr Bestes, um selbst banalste Veränderungen anzupreisen, als hätte man den Heiligen Gral in Videospielform entdeckt.

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Bis sich dann ein paar Wochen später langsam herauskristallisiert, dass man für sechzig bis achtzig Euro oder mehr eben doch kaum mehr als einen weiteren Aufguss bekommen hat, der an allen Ecken und Enden unter ewigen Kinderkrankheiten leidet. Das Warten auf rettende Patches entpuppt sich früher oder später als trügerische Hoffnung, denn wenn sich eine Reihe schon seit Jahren (!) mit den immergleichen Bugs und Glitches herumplagt, will man denn da wirklich noch annehmen, dass die jemals gefixt werden? Nein. Wird es besser, indem man es übermalt und hofft, dass sich darüber keiner mehr aufregt? Nein! Sollte man dafür wirklich so viel Geld auf den Tresen legen und damit diese furchtbare Faulheit seitens Entwickler und Publisher supporten? Verdammt, nein! Mir ist unbegreiflich, wie man so ein uninspiriertes Spiel abliefern kann und gleichzeitig entwicklerseitig beteuert, dass man nach den miesen Ablegern der letzten Jahre mit Madden NFL 23 das Vertrauen der Käufer zurückgewinnen will. So jedenfalls wird das nichts. 

Weniger ist nicht mehr

Madden NFL 23 ist für mich der traurige Höhepunkt aller angesammelten Probleme und Ärgernisse. Angefangen bei Face of the Franchise, dass sich im Vergleich zum Vorgänger lediglich darin unterscheidet, dass man als Cornerback nun auch eine fünfte Position besetzen kann. Dieses Mal startet ihr eure Karriere nicht als blutjunger Rookie, sondern bereits in der fünften Saison, ohne Vertrag und ohne Perspektiven. Oder anders ausgedrückt: EA Tiburon hat in diesem Jahr nicht nur die College-Football-Komponente gestrichen, sondern spart sich auch noch die komplette Hintergrundgeschichte für euren selbsterstellten Avatar. Seien wir mal ehrlich, niemand spielt Madden NFL wegen der Story. Die war letztes Jahr Murks, die Jahre davor Murks und sie ist auch in diesem Jahr Murks, sofern man dieses fragile Gerüst zusammenhangsloser inhaltlicher Präsentation überhaupt noch als Story bezeichnen kann. Neu fühlt sich hier abseits kleinerer Tweaks bei den Nebenaktivitäten überhaupt nichts an. Wer angesichts dessen wirklich die sogenannte Road to 99 bis zum Ziel beschreiten will, ist entweder lächerlich schmerzresistent oder hat einen größeren Vorrat Hochprozentiges in greifbarer Nähe.

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Dass der Modus auch in diesem Jahr eine Brücke zwischen der arcadelastigen Komponente The Yard – welche sich mit Ausnahme weniger neuer Lokalitäten gefühlt unverändert zum Vorjahr präsentiert – und dem gewohnt komplett von Mikrotransaktionen verseuchten Ultimate Team baut, hebt den Unterhaltungswert der bis zum Ende dröge vor sich hinplätschernden Karre auch nicht an. Schaut man sich einmal an, wie NBA 2K seine Karriere schon seit Jahren verpackt, nämlich in einer ganzen Stadt voller Möglichkeiten und Aktivitäten, kann Madden NFL 23 auch in diesem Jahr nichts vergleichbares vorweisen. Es mangelt nicht nur an frischen Impulsen, das ganz große Problem der Reihe ist ihr völlig veraltetes Grundgerüst, auf welches Jahr für Jahr „neue“ Features und vielleicht mal ein frischer Klecks Farbe geschmissen werden. Und solange EA Sports als Publisher und alleiniger Lizenznehmer keine Konkurrenz im Genre fürchten muss, wird das auch unverblümt so weitergehen.

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Das reguläre Franchise konnte letztes Jahr immerhin mit einigen sinnvollen Verbesserungen beim Coaching punkten, auch ließen sich Teams flexibler auf anstehende Duelle vorbereiten. In diesem Jahr haben die Macher ein komplett überarbeitetes Free-Agent-System eingebaut, was euch die Verhandlungen mit möglichen Kaderzugängen basierend auf mehr Informationen und besserem Scouting etwas erleichtern soll. Eine nette Ergänzung, aber insgesamt zu wenig, um die von vielen Fans geliebte Managerkomponente aus dem anhaltenden Loch einer grundveralteten Gesamtpräsentation zu holen. Und wieder ein Paradebeispiel für das, was ich bereits im letzten Ansatz so lautstark angemerkt habe. Das sind alles Kleinigkeiten, durchaus willkommen und gemessen an den großen, klaffenden Baustellen der Reihe trotzdem so lächerlich unbedeutend, dass man sich vor Unverständnis darüber büschelweise die Haare vom Skalp reißen will. Und hey, warum großartig am Ultimate Team basteln, wenn das bereits bekannte Pay-2-Win/Pay-2-Shortcut-Groschengrab weiter so effektiv funktioniert? Daran nehmen wir uns gerne ein Beispiel und werten wie immer um satte zehn Punkte ab. 

Sinn und Unsinn

Hinter FieldSENSE soll sich theoretisch das verbergen, was HyperMotion für FIFA ist. Über dreitausendfünfhundert neue Animationen haben die Macher nach eigener Aussage in den diesjährigen Ableger implementiert. So soll sich keine Partie wie die andere anfühlen, der Realismus auf eine ganz neue Stufe gehoben werden. Und die Hit-Stick-Physik sorgt dafür, dass sich laufende Tackles besser unterstützen, erstmals Knockouts im Flug durchführen und laufende Blocks dynamischer als je zuvor durchbrechen lassen. Tatsächlich tun die neuen Animationen dem Spielgeschehen sehr gut und das Passen geht im Vergleich zum Vorjahr viel sauberer von der Hand.

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Wichtige Schritte auf dem Weg, den Simulationscharakter besser herauszuarbeiten, diesen Umstand muss man bei aller Kritik positiv bewerten. Käufer von Madden NFL 23 auf PC, PlayStation 4 und XBOX One gehen dabei aber wie immer komplett leer aus und bekommen zum Vollpreis wieder mal kaum mehr als ein aufgefrischtes Roster geboten. Auch grafisch bleiben die Versionen hemmungslos veraltet – dazu aber mehr im Technikteil. Dass dieser Nepp nicht entsprechend gekennzeichnet wird, ist in meinen Augen ein klarer Fall für den Verbraucherschutz. Einfach unverschämt, was EA Sports hier Jahr für Jahr abzieht. 

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Was allen Versionen gemein bleibt, ist die gewohnt horrende Anzahl an Bugs und Glitches. Angefangen bei den Animationen, was besonders unter Verwendung von FieldSense für teils horrende Fehler bei der Kollisionsabfrage und Spielerbewegung resultiert, bis hin zu krassen allgemeinen Darstellungsfehlern zeigt Madden NFL 23 leider einmal mehr, dass die Macher nichts aus der massiven Kritik vergangener Jahre gelernt haben. Fehler, die sich von Spiel zu Spiel ziehen und bis heute nicht behoben worden…wenn man auf diese Weise wirklich Kundenvertrauen zurückgewinnen will, Prost Mahlzeit! NFL-Legende John Madden würde sich im Grabe umdrehen wenn er wüsste, auf was für einen Flickenteppich EA Sports sein Bildnis gedruckt hat. 

Zweiklassengesellschaft

Wesentliche Verbesserungen beim Gameplay werden Besitzern von PC und Last-Gen seit Jahren ebenso vorenthalten wie zeitgemäße Visuals. Was auf XBOX One und PlayStation 4 teilweise nachvollziehbar ist, macht aber in Hinblick auf die nicht gerade kleine PC-Community gar keinen Sinn. Das übliche Argument der Entwickler, dass man den Usern die mit Verbesserungen einhergehenden höheren Systemanforderungen nicht zumuten möchte, ist absoluter Bullshit. Selbst FIFA zieht in diesem Jahr endlich nach und bringt den kommenden Ableger mit „neuer“ Grafik und HyperMotion auf den PC. Viel schlimmer kann man sich eigentlich nicht selbst entlarven. Auf XBOX Series X|S und PlayStation 5 hat sich dagegen grafisch im Vergleich zum Vorjahr nicht viel getan. Ein paar kleine Updates bei der Spielerdarstellung, neue Kameraperspektiven…das Übliche eben. 

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In die Kommentare hat man ebenfalls keine Arbeit gesteckt, das ausschließlich englischsprachige Duo spult überwiegend dieselben Sätze wie in den Vorjahren ab. Alle neuen Mechaniken werden innerhalb kurzer Tutorials anständig erklärt, erfordern aber darüber hinaus zusätzlich etwas Eingewöhnungszeit. Die Bedienung geht via Gamepad grundsätzlich gut von der Hand – besonders hervorzuheben ist die gelungene Einbindung der haptischen Features des DualSense -, verschiedene Schwierigkeitsstufen erleichtern auch Anfängern den Einstieg in die teils komplexen Eingaben. Grundsätzlich unzufrieden bin ich weiterhin mit der Menüführung, die dringend entschlackt werden müsste. Aber auch das würde ja Arbeit bedeuten und wäre automatisch zuviel verlangt. So wie von den virtuellen Zuschauern im Stadio, sich während der Partien mal bemerkbar zu machen. Aber die haben auf das Game wahrscheinlich genauso wenig Bock wie ich nach guten zwanzig Stunden Review. Wer kann es ihnen verübeln?

Fazit und Wertung

profilbildapril„Nehmt EA Sports endlich die verdammte NFL-Lizenz weg und gebt sie jemanden, der wirklich Bock hat, ein gutes Spiel daraus zu machen! Ganz ehrlich, ich würde das Franchise lieber in den Händen von 2K sehen, bis ins letzte Mark durchzogen von Mikrotransaktionen, Echtgeldabzocke und Co., wenn ich dafür nur endlich wieder ein durchdachtes, fehlerfreies und vor allem spaßiges Gameplay samt guter Karriere kriegen könnte. Was dem Spieler hier Jahr für Jahr für eine uninspirierte undlustlos umgesetzte Shitshow präsentiert wird, spottet mittlerweile jedweder Vernunft. Hinzu kommt, dass auf PC und Last-Gen wieder nur wenig mehr als als ein Rosterupdate für sechzig bis siebzig Euro vertrieben wird. Das grenzt an Betrug. Sowas mit dem legendären John Madden auf dem Cover zu bewerben ist nicht nur frech…sondern schon die Vorstufe zur Leichenschändung. Und nicht zuletzt dem Andenken an einen ganz großen Mann. Schämt euch, EA!“

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PRO: 

+ Voll lizensierte NFL – Kader mit regelmäßigen Updates
+ Überwiegend gut eingefangene Atmosphäre

+ Massiv erweitertes Animationsspektrum sorgt für mehr Dynamik und Tiefe
+ Deutlich verbesserte Passkontrolle
+ The Yard als gewohnt unterhaltsame Arcadekomponente 
+ Cross Progression zwischen Ultimate Team, Karriere und The Yard
+ Solide Mehrspielermodi
+ Fair ausbalancierte Schwierigkeitsgrade
+ Zugängliche Tutorials
+ Brauchbarer Charaktereditor
+ Gut gewählter Soundtrack
+ Solide (englische) Kommentatoren
+ Saubere Performance auf sämtlichen Plattformen
+ Gute Bedienung via Gamepad
+ Exzellentes DualSense-Feedback (PS5)

CONTRA:

– Story im Face of the Franchise quasi nicht vorhanden…
– …Hintergrundgeschichte und College Football wurden zudem ersatzlos gestrichen
– Substories weiterhin ohne Vertonung und zudem extrem hölzern animiert
– Abseits der Partien hässliche Kulissen 
– Allenfalls kleine Verbesserungen im Franchise
– Massives Pay-2-Win und Pay-2-Shortcut im Ultimate Team
– PC- und Last-Gen-Version kaum mehr als ein Rosterupdate zum Vollpreis
– Generell veraltetes Technik- und Spielgerüst, auch auf aktuellen Konsolen
– Visuelle Qualität der Spieler mitunter stark schwankend
– Zahlreiche, teils schwerwiegende Bugs und Glitches…
– …was von FieldSENSE mitunter sogar noch gefördert wird
– Madden-Tribut hätte umfangreicher ausfallen können
– Publikum macht sich nur selten bemerkbar
– Kommentare weitestgehend identisch zum Vorjahr
– Keine deutsche Lokalisierung
– Stellenweise arg überladene Menüs
– Kundenunfreundliche Upgradepolitik 
– Fummelige Maus- und Tastatursteuerung (PC)

                            GESAMTWERTUNG:     3.0/10 (PC, XB1, PS4)
                                                                    5.0/10 (PS5, XBS)
                                        (aufgrund von Pay-2-Win und Pay-2-Shortcut um jeweils 10 Punkte abgewertet)

Entsprechende Rezensionsexemplare wurden uns freundlicherweise vorab von EA Sports zur Verfügung gestellt. 

Die hier veröffentlichte Meinung stellt lediglich die Meinung des Autors dar und muss nicht zwangsläufig auch die von Wrestling-Point.de, M-Reviews und allen unterstehenden Mitarbeitern sein.


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