Lost in Random – „Alea jacta est“

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                                                      Getestet und verfasst von General M 

813 C4tM37L. SL1500 Die letzten Jahre haben eindrucksvoll gezeigt, dass es oftmals kleine Studios sind, die statt dem Immergleichen mit Mut zur Innovation um die Ecke kommen. Das haben mittlerweile auch die meisten großen Publisher gemerkt, die mit der nötigen finanziellen Förderung locken, um solche Projekte zu realisieren. Eines davon ist Lost in Random aus der kleinen schwedischen Spieleschmiede Thunderful. Das Action-Adventure rund um die Suche der jungen Even nach ihrer verschleppten Schwester verspricht frische Mechaniken, eine düstere Spielwelt mit kreativen Designs sowie eine emotionale Geschichte. Wir sind mit dem wohl ungewöhnlichsten Heldenduo des Jahres losgezogen und klären über Stärken und Schwächen des Spiels auf. 

                      Hinweis: Sämtliches Bildmaterial wurde mit der PC-Version erstellt. 

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Kampf dem Schicksal

Willkommen im Königreich Random. Hier dreht sich passend zum Namen alles um den Zufall. Und was könnte den besser zum Ausdruck bringen als ein Würfel? Was für uns allenfalls ein zentrales Element bei diversen Brettspielen ist, gilt für die Einwohner als mächtiges Artefakt. Und von denen gab es früher eine ganze Menge. Weil sich der letzte existierende Würfel aber mittlerweile in der Hand der Königin befindet, verfügt diese über die alleine Möglichkeit, das Schicksal ihrer Untertanen je nach Wurfergebnis beliebig zu bestimmen. Dabei entspricht jede Seite einer von insgesamt sechs verschiedenen Ebenen des Reiches, wobei die Bewohner der ersten Ebene in absoluter Armut hausen, während man auf der sechsten und höchstgelegenen Ebene ein Leben in Wohlstand und Sorglosigkeit führt. Nun hat die (zugegeben wenig gütig ausschauende) König bestimmt, dass jedes Kind zwischen zwölf und vierzehn Jahren den Würfel rollen lassen soll, um über deren zukünftiges Dasein zu entscheiden. 

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Diesem Erlass kann sich auch Odd nicht entziehen, die bisher trotz kläglicher Existenz auf der untersten Ebene ein zufriedenes Leben an der Seite der Eltern sowie Schwester Even geführt hat. Entsprechend gering die Begeisterung, als der Würfel tatsächlich auf der Ziffer Sechs landet. Noch bevor Odd Abschied von ihrer Familie nehmen kann, verschwindet sie auch schon mitsamt der Königin. Ein Jahr später erhält die immer noch untröstliche Schwester eine gleichermaßen geheimnisvolle wie beunruhigende Nachricht. Ist Odd möglicherweise in Gefahr? Mutter und Vater, seit dem verlustreichen Ereignis in tiefsten Depressionen versunken, wollen von der ganzen Sache auf jeden Fall nichts wissen, schließlich ist Odd jetzt sehr viel besser dran als vorher. Das sollte man eben einfach so hinnehmen. Entschlossen macht sich Even auf den Weg, das Schwesterherz zurück nach Hause zu holen. Ein schwieriges Unterfangen, denn die Welt außerhalb der ersten Ebene kennt man am Bodensatz von Random allerhöchstens aus Gerüchten und Legenden. 

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Nach einer ersten halsbrecherischen Etappe stößt Even in einer Art Niemandsland auf den Würfel Dicey, dessen Existenz alleine schon ein kleines Wunder darstellt – trotz der Tatsache, dass das arme Ding nur noch zwei Punkte sein Eigen nennt. Und obwohl man einander nicht versteht, tut man sich für die anstehende Odyssee durch die restlichen Ebenen von Random dennoch zusammen. Eine gute Idee, denn das knuffige Achteck entpuppt sich nicht nur als wertvolle Waffe im Kampf gegen zahlreiche Gefahren, sondern schon bald als guter Freund. Aber wird das reichen, um sich der Vorbestimmung aller Lebewesen erfolgreich widersetzen zu können? Andererseits, wer lässt sich schon von so etwas unbedeutendem wie dem Schicksal aufhalten…

Reise durch die Zahlenwelt

Was euch in den ungefähr zehn bis dreizehn Stunden erwartet, könnte genauso gut dem kreativen Geist von Tim Burton entsprungen sein. Der düstere Grundton der Geschichte, eine irgendwie trostlos wirkende Welt und deren zahlreiche skurrile Bewohner wecken sicher nicht ganz zufällig Erinnerungen an Klassiker wie The Nightmare Before Christmas. Man wartet eigentlich nur darauf, dass Johnny Depp hinter irgendeiner Ecke hervorgesprungen kommt. Und das ist ganz sicher nicht negativ gemeint, denn Lost in Random strotzt nur so mit liebevollen Details, welche die grundlegende Sogwirkung der Welt nur noch verstärken. Zugegeben, etwas mehr Interaktionsmöglichkeiten wären wünschenswert gewesen und auch inhaltlich betreten die Macher mit der Geschichte über die Suche nach der gegen ihren Willen verschleppten Schwester absolut kein Neuland. 

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Auch unterscheiden sich die Ebenen visuell nicht so sehr voneinander, wie ich es mir gewünscht hätte. Und auch die Gegnertypen bleiben insgesamt arg überschaubar.  Damit wären aber eigentlich schon fast alle Kritikpunkte abgehakt. Das toll miteinander harmonierende Heldenduo und die Frage, welche Kreatur – ob nun freundlich gesinnt oder nicht – hinter der nächsten Ecke lauert, helfen einem aber, trotz dieser Schwächen motiviert bis zum gelungenen Finale weiterzuspielen. Gute englische Sprecher, hier übrigens allesamt mit dicken britischem Akzent, erwecken die vielschichtigen Schöpfungen gekonnt zu virtuellem Leben. Selbst der ein oder andere Schmunzler lässt sich innerhalb der Dialoge entlocken, dazu gibt es sauber lokalisierte deutsche Untertitel. Schade nur, dass Even innerhalb dieser Multiple-Choice-Gespräche durchgehend stumm bleibt. Dafür entschädigt aber ein toller Soundtrack, der auch nach dem Abspann noch eine ganze Weile lang im Kopf nachhallen wird. 

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Für die Atmosphäre wäre es definitiv ein zusätzlicher Pluspunkt gewesen. Gemessen daran, was wir hier für knapp dreißig Euro bekommen und was ein kleines Entwicklerteam mit begrenztem Budget angetrieben von seiner Vision auf die Beine gestellt hat, kann man sich ganz sicher nicht beschweren. Da haben schon wesentlich größere Studios mit wesentlich mehr Kohle deutlich weniger ansprechende Erfahrungen auf die Spielerschaft losgelassen. Lost in Random mag in vielerlei Hinsicht kein perfektes Spiel sein, ist für mich aber trotzdem eine wunderschöne kleine Perle, die mich besser unterhalten hat als so manche AAA-Titel in diesem Jahr. 

Cards against Monstrosity

Wenn ihr nicht gerade der Hauptgeschichte folgt, warten auf den einzelnen Ebenen übrigens immer wieder optionale Nebenaufgaben darauf, bewältigt zu werden. Die Einwohner danken es dem Duo mit nützlichen Belohnungen, obwohl sich der spielerische Anspruch hier ebenso in Grenzen hält wie beim übrigen Rest des Spiels. Dennoch lohnt es sich, den kleinen grünen Fragezeichen in der Umgebung zu folgen. Die aus diesen und vielen anderen Quellen gewonnene Spielewährung führt uns nämlich zum wohl wichtigsten Element des Spiels: Dem Kampfsystem. Anstelle immer neuer Ausrüstung zu beschaffen, klassische Charakterinventare zu verwalten und den Bösewichten dann reihenweise mit Schwert und Co. auf die Mütze zu hauen, werden sämtliche Kämpfe im Spiel komplett über Karten ausgetragen. 

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Die existieren in verschiedensten Formen, können aber nicht genutzt werden, ohne vorher kistallisierte Energie von den Gegner einzusammeln. An die kommt man entweder durch perfektes Ausweichen, oder man greift einfach zur Schleuder und schießt die nach kurzer Zeit nachwachsenden Gebilde einfach von den Körper herunter. Sind wir dann doch mal etwas zu weit von der kostbaren Rohstoffquelle entfernt, lässt sich Dicey via einfachem Knopfdruck bequem an Ort und Stelle schicken – der wird von den Gegnern nämlich dankbarerweise komplett ignoriert. Je mehr Energie wir sammeln, desto mehr Karten aus unserem Deck stehen zur Auswahl. Weil die Karten aber je nach Stärke über eine bestimmte Wertigkeit verfügen, muss zusätzlich dazu auch ein entsprechend starker Wurf erfolgen, um das gewünschte Blatt überhaupt ausspielen zu können. Da Dicey zu Beginn nur über zwei Punkte verfügt, beschränkt sich die Auswahl zunächst auf wenige offensive und defensive Karten, mit denen sich aber auch schon einiges anstellen lässt. Bereits nach kurzer Eingewöhnungszeit geht das System gut von der Hand. So gut, dass man sich die Frage stellen muss, warum solche Mechaniken nicht schon früher bzw. öfter Einzug in derartige Spiele gefunden haben. 

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Mit der Zeit gesellen sich immer mehr Karten ins Deck, die sich allesamt bequem über ein Sammelalbum verwalten lassen. Lediglich eine Grundanzahl ist vorgeschrieben, wie diese aber am Ende aussieht, könnt ihr frei bestimmen. Nachschub gibt es als Belohnung für das Besiegen von besonders starken Gegnern, dem Absolvieren bestimmter Events sowie gegen virtuelle (und ausschließlich virtuelle) Währung bei Händler Mannie Dex. Weil das Spiel seine Credits fair ausschüttet, solltet ihr keinerlei Schwierigkeiten haben, zeitig zum Finale ein mächtiges Allroundset auf der Hand zu haben. Die Vielzahl an Karten lädt einerseits zum Experimentieren ein, auch weil sich viele Karten gut miteinander kombinieren lassen und natürlich auch mehrere pro Zug ausgespielt werden können. So richtig taktisch denken müsst ihr andererseits aber nie, dafür sind die Kämpfe abseits gelegentlich frustierenden Kameraperspektiven innerhalb enger strukturierter Areale selbst auf der höchsten von insgesamt drei Schwierigkeitsgraden einfach nicht anspruchsvoll genug.

Die Technik von Random

Gerade kleinere Entwicklerteams nutzen mit Vorliebe die Unity Engine. Lost in Random bildet da keine Ausnahme. Das auf Open Source basierende Grafikgerüst ist mühelos lizensierbar und vielseitig einsetzbar, hat auf der anderen Seite aber den Nachteil, dass sich damit nur schwerlich Ergebnisse produzieren lassen, die es mit den visuellen Big Playern aufnehmen können. Für die grafischen Bedürfnisse des Spiels mitsamt seines hochstilisierten Looks ist die Engine aber absolut ausreichend. Auf den Konsolen der letzten Generation muss man allerdings trotzdem einige Abstriche in Kauf nehmen. Auf den Basismodellen PlayStation 4 und XBOX One kommt es immer wieder zu kleineren, aber spürbaren Einbrüchen bei der Performance. Die erweiterten Modelle laufen da schon ein bisschen stabiler. Richtig perfekt wird es aber erst bei Konsolen der aktuellen Konsolen. PlayStation 5 und XBOX Series X|S bieten 4K bei durchgehend geschmeidigen 60 Frames pro Sekunde bei gleichzeitig verschwindend geringen Ladezeiten. 

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Auch auf dem PC kann sich das Spiel sehen lassen. Zu meiner Verwunderung fehlt dort aber abseits einer Option für V-Sync samt Auflösungsregler jedwede Möglichkeit zur Feineinstellung. Da sich das Spiel allerdings was die Systemanforderungen angeht insgesamt relativ genügsam zeigt und ab 1080p grundsätzlich sehr schick aussieht, kann man darüber ausnahmsweise hinwegsehen. Egal auf welcher Plattform ihr letztendlich loslegt, größere Bugs bleiben erfreulicherweise aus. Bei der Bedienung empfehlen wir ein brauchbares Gamepad, denn mit Maus und Tastatur bewegt sich Even ziemlich unpräzise, was spätestens in den Kämpfen nervig werden kann. Über die Version für Nintendo Switch können wir dagegen kein Urteil fällen, da uns eine entsprechende Fassung zum Redaktionsschluss nicht vorlag. Alle Aussagen zur Technik sind also nicht repräsentativ. Dafür bitten wir um Verständnis. 

Fazit und Wertung

profilbildapril„Lost in Random…so fühle ich mich meist spätestens zum Ende eines jeden Jahres, wenn die neuesten innovationslosen Vollpreisvertreter von Call of Duty, FIFA und Co. auf meinem Schreibtisch landen. Hier beweist ein kleines Team aus Skandinavien, dass es trotz Titel auch anders geht. Die Reise durch ein düsteres, burtonesques Königreich überzeugt abseits des tollen Designs nicht nur mit einem charmanten Heldenduo, sondern auch mechanisch. Sämtliche Kämpfe werden über ein stetig erweiterbares Kartendeck ausgetragen, was für viel frischen Wind im Genre sorgt. Dem gegenüber stehen unter anderem mangelnder Anspruch, eine relativ vorhersehbare Handlung und geringe Gegnervielfalt. Für dreißig Euro wird man aber trotzdem gut bedient. Gerade für Zwischendurch ist das Spiel eine prima Abwechslung, wenn man nicht zu viel Tiefe erwartet.“ 

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PRO:

+ Wunderbar düstere Atmosphäre
+ Gelungenes Welt- und Kreaturendesign
+ Charmante Helden
+ Unaufdringlicher Humor
+ Solider Umfang
+ Abwechslungsreiche Events
+ Innovatives Kampfsystem
+ Deck wird stetig erweitert
+ Viele Karten gut miteinander kombinierbar
+ Faire Währungsausschüttung
+ Sehr gute (englische) Sprecher
+ Sauber lokalisierte deutsche Untertitel
+ Toller Soundtrack
+ Faire Rücksetzpunkte
+ Angemessener Preis
+ Gute Bedienung via Gamepad

CONTRA:

– Insgesamt sehr innovationsarme Story
– Spielerisch selbst auf höchsten Schwierigkeitsgrad nie richtig anspruchsvoll…
– …taktische Finesse im Kampf entsprechend überflüssig
– Geringe Gegnervielfalt
– Repetive Nebenaufgaben
– Vor allem in engen Arealen immer wieder nervige Kameraaussetzer
– Bedienung via Maus und Tastatur eher unpräzise

                                           GESAMTWERTUNG:     7.8/10

                                 MRDESIGN

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