Life is Strange: Remastered Collection – „Majestätsbeleidigung“

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                                                  Getestet und verfasst von General M 

lisrekaMit Life is Strange verbinden mich einige ganz besondere Erinnerungen. Nicht nur, dass es sich dabei um eines der höchstbewerteten Titel in der bald zehnjährigen Geschichte von M-Reviews handelt, es ist auch storytechnisch eines der besten Spiele, die ich je gespielt habe. Selbst heute ist es schwer, vergleichbare Titel zu nennen, wo die Charaktere so gut und feinfühlig geschrieben sind und man als Spieler so aktiv mit deren Schicksal mitfühlt, während man es durch die eigenen Entscheidungen maßgeblich gestaltet. Das hat auch Square Enix erkannt, denn obwohl die ursprünglichen Entwickler DONTNOD längst zu neuen Ufern aufgebrochen sind, wird der Publisher nicht müde, den modernen Klassiker ähnlich wie ein Skyrim regelmäßig neu aufzulegen. Nun als Remastered Collection inklusive Before the Storm, ist die Neuveröffentlichung aber nur sehr bedingt gelungen. 

                      Hinweis: Sämtliches Bildmaterial wurde mit der PC-Version erstellt. 

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Alles auf Anfang

Die Story wird euch innerhalb der Remastered Collection unverändert präsentiert: Während wir im Hauptspiel als junge Kunststudentin Max Caulfield entdecken, nach Belieben die Zeit zurückdrehen zu können und gemeinsam mit unserer abgedrifteten Jugendfreundin Chloe dem Verschwinden von Rachel Amber auf den Grund gehen, erzählt Before the Storm von all jenen Ereignissen, die erst zu deren Verschwinden geführt haben. Über die letzten Jahre bin ich immer gerne nach Arcadia Bay zurückgekehrt, obwohl ich den Ausgang der Geschichte längst in- und auswendig kenne. Das ist durchaus vergleichbar mit einem guten Buch, das man mehr als einmal liest, weil es einfach so verdammt gut geschrieben ist. 

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Umso größer die Enttäuschung, dass ich diesen weiteren Ausflug in die Welt von Max und Chloe einfach nicht so sehr genießen wollte. Nicht, weil sich die Handlung plötzlich langweilig anfühlt oder mir die Charaktere keinen Spaß mehr machen. Sondern aus dem Grund, weil Deck Nine Games als Hauptverantwortliche für die Remaster offenbar kaum Liebe in die Umsetzung investiert haben, dafür aber mit knapp vierzig Euro einen ziemlich happigen Preis veranschlagen – zumindest, sofern ihr nicht seinerzeit die Deluxe Edition von Life is Strange: True Colors erworben habt. Dann nämlich erhaltet ihr die Remastered Collection komplett kostenlos. Aber auch das dürfte angesichts der vielen verpassten Chancen und den zahlreichen technischen Missgeschicken der beiden Veröffentlichungen nur ein sehr schwacher Trost sein. 

Durch das Objektiv geschaut

Das Original wurde damals auf Basis der Unreal Engine 3 programmiert, das Prequel dagegen mit Unity. Für die jeweiligen Remaster wurde Life is Strange komplett in die aktuelle Unreal Engine 4 portiert, bei Before the Storm bleibt es beim bekannten Grafikgerüst, wobei natürlich auch hier einige Verbesserungen vorgenommen worden sind. Square Enix hat die Sammlung im Vorfeld unter anderem mit verbesserter Beleuchtung, teilweise komplett überarbeiteten Charaktermodellen und realistischerer Mimik dank Motion Capturing beworben. Die Ergebnisse dieser Bemühungen überzeugen leider nicht immer und sehen im direkten Vergleich stellenweise sogar etwas schlechter aus als bei den jeweiligen Vorlagen. Die Reihe hat seit jeher auf einen comicartigen Look gesetzt, der aber ausgerechnet im Fall der beiden ersten Beiträge zum Franchise trotzdem eher schlecht gealtert ist. 

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Kurz und knapp: Trotz großer Ankündigungen im Vorfeld sollte man von den grafischen Neuerungen nicht zu viel erwarten. Die zentralen Charaktere profitieren zwar ein Stückweit von der neuen Mimik sowie höher aufgelösten Texturen und bringen ihre jeweilige Gefühlslage nun besser zum Ausdruck, alles in allem wirkt die Präsentation aber immer noch sehr hölzern, was übrigens weiterhin für die Bewegungsanimationen gilt. Besonders die vielen NPC´s, die sich unter anderem auf dem Campus der Blackwell Academy tummeln, wirken neben den überarbeiteten Modellen hemmungslos veraltet. Die Remaster verlieren dadurch viel von ihrer ursprünglichen Homogenität. Gleichzeitig wurden die vorgerenderten Zwischensequenzen unverändert aus den Originalen übernommen, wo immer noch die alten Modelle zum Einsatz kommen, was natürlich für weitere Inkonsistenzen sorgt. 

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In Sachen Beleuchtung überzeugen vor allem die lauschigen Stimmungen in der Dämmerung, aber auch die realistischeren Schattenwürfe können sich sehen lassen. Es gibt aber auch Momente, wo das neue System viel zu dunkle Situationen produziert. Hier sollte man definitiv nochmal nachbessern. Gleichzeitig haben die Entwickler die allgemeine Vegetation deutlich aufgepeppt, wodurch die Umgebungen zusätzlich zur besseren Ausleuchtung einfach lebendiger rüberkommen. Ferner unterstützt das Remaster des Hauptspiels nun natives 4K und wartet mit überarbeiteten deutschen Untertiteln auf. Die Frage ist nur: Ist das alles wirklich vierzig Euro wert? Ich sage Nein. Denn so paradox es auch klingen mag: Im Gesamtbild sind die Verbesserungen eher schädlich und offenbaren das Alter der beiden Spiele eher, als es zu kaschieren. Gerade die vielen Umgebungsobjekte wie Plakate, Fotos und dergleichen bleiben nämlich komplett unleserlich. Vor dieser Kulisse wirken die überarbeiteten Modelle wie Fremdkörper, wie Zeitreisende aus der Zukunft. Es ist, als hätte man versucht, die Konturen der Mona Lisa mit einem Edding nachzuziehen. 

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Gleichzeitig produzieren die Remaster jede Menge Bugs, die so in den Originalen überhaupt nicht vorhanden gewesen sind. Störende Audioaussetzer, Skalierungsfehler bei Menü- und Tagebuchtexten…insgesamt merkt man, wie überhastet die Collection auf den Markt geworfen wurde. Selbst in nativem 4K und maximaler Kantenglättung produzieren die Ränder der Charaktere munter Treppchen, auf XBOX Series X|S und PlayStation 5 lassen sich die Spiele gegenwärtig weiterhin nur in 30 Frames pro Sekunde spielen (ein Performancepatch wurde aber bereits angekündigt) und die Vorgängermodelle lösen allesamt zu niedrig auf, als dass einem die Upgrades da überhaupt groß auffielen. Der ursprüngliche Release vor einem halben Jahr konnte schon nicht gehalten werden, so richtig fertig fühlen sich die Spiele jetzt aber immer noch nicht an. Der einzig richtige Weg wäre in meinen Augen gewesen, beide Titel komplett neu in der Unreal Engine 4 zu designen, basierend auf dem Look von True Colors. Dann wäre gegen den Preis wenig einzuwenden gewesen. So aber fühlen sich die Originale einfach runder an. Nicht schöner, aber runder. Und darüber hinaus sehr viel preisgünstiger. 

Fazit und Wertung

profilbildapril„Look how they massacred my boy! Diesen mittlerweile zum Meme avancierten Satz sprach der legendäre Marlon Brando einst in Der Pate beim Anblick seines toten Sohnes. Ich will nicht sagen, dass die Remaster von Life is Strange und Before the Storm Massaker sind, das wäre unfair. Aber: Angesichts der inkonsequenten und oft übereilt wirkenden Verbesserungen geht den Titeln eher Homogenität verloren, als dass sie welche hinzugewinnen würden. Vor allem neben den überarbeiteten Modellen wirkt ein Großteil der Kulisse erschreckend altbacken. Das Problem hatte man vorher nicht. Gleiches gilt für die vielen neuen Bugs, selbst technisch entstehen besonders bei der Portierung des ersten Teils auf ein neues Grafikgerüst neue Probleme, denen man mit mehr Sorgfalt hätte begegnen müssen. Storytechnisch bleiben zwei fantastische Spiele. Das ist aber auch schon alles, was diese weitestgehend lustlos umgesetzte Collection vor dem Absturz bewahrt.“ 

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PRO:

+ Zeitlos perfektes Story- und Charaktertelling
+ Verbesserte Mimik überwiegend gewinnbringend
+ Charaktermodelle im Prinzip gut überarbeitet
+ Insgesamt natürlichere Ausleuchtung
+ Sichtbar verbesserte Vegetation
+ Gut überarbeitete Untertitel

CONTRA:

– Gesamtkulisse wirkt vor den neuen Modellen extrem veraltet
– Nicht alle Modelle wurden überarbeitet…
– …was die Spiele immens an Homogenität beraubt
– Teilweise störende Beleuchtungsaussetzer
– Unschöne Bugs bei Ton und Textdarstellung
– Unzureichende Kantenglättung (speziell im Hauptspiel)
– Gegenwärtig nur 30 Frames pro Sekunde auf Current-Gen-Konsolen
– Für das Gebotene viel zu teuer

                                             GESAMTWERTUNG:     6.9/10

Die hier veröffentlichte Meinung stellt lediglich die Meinung des Autors dar und muss nicht zwangsläufig auch die von Wrestling-Point.de, M-Reviews und allen unterstehenden Mitarbeitern sein.


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