Get Even – „Mindfuck Deluxe“

                                          Getestet und verfasst von General M

Eigentlich hätte der neue Titel aus dem Hause Bandai Namco bereits letzten Monat getestet werden sollen. Das Spiel kam immerhin schon Mitte Mai bei mir an. Dann aber hat man sich entschlossen, den Release (und damit auch die Freischaltung bei Steam) aufgrund der Attentate in England um einen Monat zu verschieben. So richtig nachvollziehbar erscheinen mir die Zusammenhänge im Nachhinein nicht, aber sei es drum. Seit Mitte Juni nun darf Get Even endlich gespielt werden. Was daraus geworden ist, verrät unser Testbericht. 

In den Kaninchenbau 

England: Eine junge Frau wurde von Terroristen entführt. Cole Black soll sie retten. Viel wissen wir zu Beginn nicht über ihn, außer dass der Söldner Teil einer Entwicklungseinheit war, welche sich mit der Kreation einer besonderen Waffe, der sogenannten „CornerGun“ beschäftigt hat, mit welcher man um Ecken schießen kann. Ziemlich wenig Information für den Anfang, der aber ohnehin eine ganz andere Richtung einschlägt. Die Bombe, mit welcher die Geisel gesichert wurde, explodiert beim Versuch, sie zu deaktivieren. Ein weißer Blitz. Szenenwechsel. Black kommt in einer heruntergekommenen Anstalt zu sich, auf seinem Kopf ein spezieller Helm. Alles Teil einer Therapie, so die Stimme des ominösen „Red“, welcher uns durch das Spiel geleitet. Von da an gilt es, Erinnerungen zu durchleben, Hergänge zu kontruieren, der Wahrheit auf die Schliche zu kommen und hin und wieder ein paar böse Buben abzuknallen. All das in einem einzigen Spiel kombiniert.

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   Schusswechsel sind hin und wieder nicht zu vermeiden, leises Vorgehen wird aber belohnt.

Get Even kombiniert bewusst diverse Genres und erschafft so aus Stealth-, Shooter-, Adventure- und Logikelementen einen neuartigen Hybriden, der auf seine Weise überraschend gut funktioniert. Angefangen beim Protagonisten Black, der eine herrlich breite Identifikationsfläche bietet, da er nie mehr weiß als es der Spieler tut und eben wie jener Stück für Stück seiner eigenen Geschichte auf die Spur kommen muss. Dazu muss der Spieler vor allem eines tun: Lesen, lesen, lesen! Die Narration ist so minimalistisch, wie man es sich nur vorstellen kann. Das Konstrukt der Leere wird mit unzähligen Dokumenten, Beweisen und Co. erst gefüllt. Wer also wirklich wissen will, worum es in Get Even überhaupt geht, welcher rote Faden sich durch Blacks Erinnerungen zieht, muss jedes Dokument aufmerksam lesen. Nur so kommt man am Ende der circa 10-12 Stunden langen Handlung auf ein schlüssiges, befriedigendes Ergebnis. Und selbst dann lohnt sich ein zweiter Durchgang, da einen das Spiel oft vor Entscheidungen stellt, die im ersten Moment beiläufig wirken mögen, aber kurz darauf die zumeist schwerwiegenden Konsequenzen zeigen. Hier macht das kleine polnische Entwicklerstudio einiges besser als die Jungs und Mädels von Telltale, deren Spiele oftmals nur unbefriedigende Konsequenzen basierend auf den respektiven Entscheidungen bieten. So stellt sich hier beispielsweise heraus, dass die zahlreichen toten Anstaltspatienten nur deswegen tot sind, weil wir deren Mörder zuvor in einem Akt der Menschlichkeit aus seiner Zelle befreit haben. „Scheiße gelaufen“ wäre da eine ziemlich untertriebene Annahme.  

Wer bin ich? 

Herauszufinden, was genau bei jener Geiselnahme genau passiert ist, ist eine Aufgabe des Spiels. Gleichzeitig befasst sich die Geschichte aber auch mit vielen Nebenaspekten. Man erfährt mehr und mehr über Blacks eigene Vergangenheit, sein Privatleben und sein früheres Leben als Waffenkonstrukteur. Die Geschichte springt wie ein Flummi hin und her, schickt uns an diesen und jenen Ort, immer mit der gruselig ruhigen Stimme von „Red“ im Ohr und dem Hinweis, alles zu beobachten und zu analysieren und dabei nicht wie eine Dampframme vorzugehen. Da Black nur sehr wenige Treffer verkraftet, ist die Rambo – Manier ohnehin nicht empfehlenswert. Dank der „CornerGun“ steht man den generischen Feinden jedoch nicht ganz hilflos gegenüber. Lautloses Vorgehen wird belohnt, wer alles niedermäht, was ihm vor die Flinte läuft, bekommt in Form von Red gleich einen Klaps auf das Spielergewissen verpasst. Und auch in Sachen Analyse muss man nicht ohne Hilfsmittel auskommen: Black´s Smartphone ist mit einem Beweisscanner, Infrarot- und Wärmesucher sowie vielen weiteren nützlichen Accessoires versehen, allesamt sinnvoll und gut in´s Spiel eingebunden. 

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            Schon Gil Grissom hat seinerzeit den Wert einer guten Beweisführung gepredigt.

Je weiter man im Spiel fortschreitet, je mehr Beweise und Hinweise man sammelt, desto mehr Fähigkeiten lassen sich nutzen. So kann Black zu Beginn Objekte zur Deckung heranwarpen, oder aber versteckte Schleichwege offenbaren, später erhöht sich die Bewegungsfreiheit weiter (natürlich alles im Rahmen der Simulation). Zwischen alledem warten eine Menge Mindfuck – Momente, keineswegs aber Jumpscares á la Outlast und Co. Nein, Get Even geht eigene Wege und lässt vieles im Kopf des Spielers stattfinden, was eben auch oftmals viel effektiver ist als tatsächlich Gezeigtes. So begibt man sich meist mit nicht geringer Nervosität von Raum zu Raum, bis man schließlich irgendwann am Ende ist und positiv überrascht feststellt, dass es dem kleinen Entwicklerteam gelungen ist, eine exzellente Geschichte zu erzählen, die einen nahezu jederzeit in ihren Bann gezogen hat. 

Großer Gewinner: Der Sound

Dabei kommt der Titel dennoch nicht ohne manchen Makel daher. Zum einen ist die Feind – K.I. nicht gerade der hellste Stern am Firmanent. Den Gegnern mangelt es meistens an Treffsicherheit, taktisches Vorgehen sucht man vergebens. Manchmal kann man sogar direkt neben den Gegnern hocken und wird nicht bemerkt, ein anderes Mal hat man das Gefühl, die Feinde können sogar durch Wände sehen…alles sehr unausgeglichen. Von allen Aspekten im Spiel wirkt ausgerechnet das Shooter – Element seltsam deplatziert und will sich nicht so recht ins Gesamtbild einfügen. Darüber kann man aber gerade noch so hinwegsehen. 

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                 Get Even bietet stimmige Momente, aber davon leider viel zu wenige. 

Prägnanter ist die spürbar veraltete Technik, welche zwar dank Fototechniken auch viele atmosphärische Momente bietet, insgesamt aber doch steril und leblos wirkt. Man spürt an jeder Ecke, dass die Entwickler gerne mehr gemacht hätten, aber trotz finanzieller Unterstützung von Bandai Namco oft inkonsequenz zu Werke gegangen sind, was die technische Umsetzung angeht. Die zum Einsatz kommende Unreal – Engine kann wesentlich mehr, als sie hier zeigt und kommt dennoch auf Spitzenhardware nicht ohne teilweise starke FPS – Einbrüche aus, auf der PlayStation 4 ploppen zusätzlich hin und wieder Objekte auf. Da muss dringend nachgebessert werden.

Großes, wenn nicht sogar das größte Lob, verdient die musikalische Untermalung. Get Even arbeitet mit einer neuartigen Technik, welche durch geschickten Einsatz von kristallklaren Klängen extrem dynamische Reaktionen erzeugt. Der Soundtrack an sich ist subtil, unaufdringlich und absolut passend und für sich bereits gelungen. Aber der grandiose Einsatz von Geräuschen aller Art, sei es das Ticken einer Uhr, Stimmen, welche durch die Korridore hallen, all das erschafft im Kopf eine ungeheuer effektive Immersion, an der sich viele andere Titel der Gegenwart und Zukunft ruhig ein Beispiel nehmen können. So ist der Titel technisch zwar nicht perfekt, aber durchaus ein Vorgeschmack auf das, was die Entwickler vielleicht in Zukunft mit größerem Budget erreichen können, sollte sich Get Even als Erfolg herausstellen. Zu wünschen wäre dies allemal. 

Fazit und Wertung

ava2 „Okay, Get Even ist am Ende vielleicht nicht die fotorealistische Spannungsgranate geworden, welche der Entwickler versprochen hat. Und dennoch punktet das Spiel durch ein faszinierendes Storytelling, exzellentes Sounddesign und der Fähigkeit, über den Verlauf der Kampagne eine motivierende Spurensuche zu veranstalten, die am Ende sogar aufgrund der spürbaren Auswirkungen von Entscheidungen zu einem weiteren Durchgang einlädt. Herausgekommen ist ein empfehlenswerter Genre – Hybrid, der sehr vieles richtig und nur ganz wenig falsch macht. Wer über die nicht ganz so gelungene Technik ebenso hinwegsehen kann wie über die dämliche K.I., wer gerne erkundet, viel liest und auch mal geduldig ist, sollte dem Spiel unbedingt eine Chance geben!“ 

PRO:

+ Exzellente Immersion dank tollem Sounddesign
+ Spannende Geschichte in unkonventionellem Setting
+ Protagonist mit Identifikationsfläche
+ Geschichte offenbart sich nur durch eigene Interaktion richtig
+ Angemessener Umfang
+ Gute englische Sprecher
+ Wiederspielwert dank spürbarer Konsequenzen
+ Nützliches Smartphone
+ Animiert zu Kopfkino
+ Interaktionsmöglichkeiten erweitern sich mit der Zeit
+ Eingänge Bedienung mit allen Eingabegeräten

CONTRA:

– Technisch eher schwach
– FPS – Einbrüche und Pop – Ins 
– Miese Gegner – K.I. 
– Shooter – Element wirkt deplatziert

                                                 GESAMTWERTUNG:     84%

Die hier veröffentlichte Meinung stellt lediglich die Meinung des Autors dar und muss nicht zwangsläufig auch die von Wrestling-Point.de, M-Reviews und allen unterstehenden Mitarbeitern sein.

 

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