Der Film
Ein besonders inniges Verhältnis pflegt Hans-Peter neben seiner Mutter vor allem zu den jeweiligen Großeltern. Vor allem Oma Änne (Hedi Kriegeskotte, Vorwärts Immer!), die in der Nachbarschaft einen kleinen Gemischtwarenladen betreibt, erkennt früh, dass der Enkel ein ganz besonderes Talent zur Unterhaltung hat und bestärkt ihn gegen alle Widerstände darin, seiner Leidenschaft stets kompromisslos nachzugehen.
Doch nichts hält ewig, Menschen sind vergänglich. Bereits der Tod von Änne lässt Hans-Peter tieftraurig zurück. Auch mit der zunehmend depressiven Margret geht es gesundheitlich weiter bergab. Als die nach einer missglückten Kieferhöhlenoperation auch noch Geschmacks- und Geruchssinn verliert, nimmt sie sich schließlich mit einer Überdosis Tabletten das Leben. Für Hans-Peter, der in derselben Nacht ahnungslos neben seiner Mutter eingeschlafen ist, bricht eine Welt zusammen, natürlich ist auch die gesamte Familie tief getroffen. Der völlig überforderte Vater Heinz bittet schließlich seine Eltern darum, die Fürsorge für die beiden Söhne zu übernehmen. Keine leichte Aufgabe für die über Siebzigjährigen. Aber mit der Zeit lernen die Kerkelings wieder zu lachen, frei nach dem Motto: Das Leben muss ja schließlich irgendwie weitergehen…
Die Rezension
Seine Figuren sind längst Kult. Sein Spektrum deckt vom Musiker bis zum Autor und Synchronsprecher sämtliche Aspekte der modernen Unterhaltung ab. Hape Kerkeling, Jahrgang 1964, ist ein absoluter Alleskönner. Zwar ist der Entertainer mittlerweile nur noch selten im Fernsehen oder auf der Bühne zu sehen, präsent ist er aber trotzdem stets auf diese oder jene Weise geblieben. Mit Der Junge muss an die frische Luft hat Kerkeling bereits 2014 sein bisher persönlichstes Buch abgeliefert. Pläne für eine entsprechende Verfilmung wurden bereits wenig später bekannt, wirklich realisiert werden sollte das Projekt aber erst im letzten Jahr. Das Warten darauf hat sich aber definitiv mehr als gelohnt, denn unter Regie von Caroline Link entstand ein emotional nahezu perfekt ausbalanciertes Biopic, an dessen Ende der Meister sogar selbst einen rührenden Kurzauftritt hinlegt.
Link ist es gelungen, einen Film zu erschaffen, der auch traurige Themen wie den Tod und Depressionen auf leichte, aber nie leichtfertige Weise behandelt. Der Humor ist genau richtig platziert und driftet nie in Slapstick ab. Der schmale Spagat zwischen Tragik und Komik wird völlig mühelos von Anfang bis Ende gemeistert. Und inmitten von allem agiert mit maximaler Glaubwürdigkeit und Feingefühl DIE Entdeckung der letzten Jahre: Julius Weckauf. Der Jungdarsteller spielt Kerkeling derart perfekt, dass man meinen möchte, dass der junge Hans-Peter genau so gewesen sein muss, wie er sich dem Zuschauer im Film präsentiert. Stets nahe am Buch und auch abseits der Hauptrolle bis in die letzte Nebenrolle fantastisch besetzt und gespielt ist Der Junge muss an die frische Luft ein Paradebeispiel dafür, dass der deutsche Film mehr kann als nur Tatort und Traumschiff.
Ganz nebenbei stimmt auch der Look. Der Film versprüht ein tolles Siebzigerfeeling, Ausstattung und Kostüme sind auf Spitzenniveau, auch die Musik passt stets toll zum Geschehen. Der Junge muss an die frische Luft hat mich einfach toll unterhalten. Ich habe gelacht, ich habe geweint. Und am Ende der knapp 100 Minuten habe ich mich sogar ein kleines Stückchen weiser gefühlt, was meine persönliche Definition von Familie betrifft. Ein ganz und gar wunderbarer Film über die Kindheit einer deutschen Legende, geeignet für jedes Alter und zum immer wieder ansehen. Aber Obacht: Wer arge Schwierigkeiten mit dem Verständnis des klassischen Ruhrpottdialekts hat, wird wahrscheinlich eher genervt den Raum verlassen. Für alle anderen aber gilt: Unbedingt anschauen!
Die Blu-Ray
Leider war nicht mit Sicherheit auszumachen, welche Kamerasysteme für Der Junge muss an die frische Luft zum Einsatz gekommen sind. Dass der Film dennoch vollständig digital gedreht wurde, ist eindeutig. Leider lässt sich dabei aber ebenso wenig klären, in welcher Auflösung am Ausgang gemastert wurde. Ein natives 4K Digital Intermediate ist möglich, aber nicht gesichtert. Und da der Film leider nicht als UHD veröffentlicht wird, sondern die Blu-Ray das Maß aller Dinge darstellt, wollen wir uns mit technischen Spezifikationen ausnahmsweise einmal nicht aufhalten und einfach bewerten, was das Auge dort zu sehen bekommt. Was gleich zu Beginn auffällt ist die für die Darstellung der Siebziger ungewöhnlich knallige, durchgehend warm saturierte Farbpalette. Es ist toll, das Jahrzehnt mal abseits von ausgewaschenen und auf grau getrimmten Looks auf der Leinwand zu sehen, weil einfach alles viel lebendiger und fröhlicher wirkt. Ein Grundton, der für den Film selbst natürlich sehr wichtig ist.
Im Heimkino sieht das dann auch richtig stark aus: Sämtliche Farbtöne wirken wunderbar kraftvoll und nuanciert, besonders Primärtfarben kommen dabei hervorragend zur Geltung, während Hauttöne stets natürlich bleiben. Eine fast referenzverdächtig gesunde Farbgebung zeichnet die Blu-Ray vor allen anderen Aspekten aus. Aber auch bei Schärfe und Detaildarstellung muss sich der Silberling nicht verstecken. Zwar stößt die Schärfe nicht gänzlich in Referenzbereiche vor, hält sich aber ebenfalls von der ersten bis zur letzten Sekunde auf einem extrem hohen Niveau. Randunschärfen gibt es nicht, die Laufruhe ist exzellent. Details werden angefangen bei der Textur verputzter Hauswände bis zu feinen Nuancen bei Kleidungsstücken und Gesichtern stets präzise ausgegeben. Dank durchgehend guter Ausleuchtung des Bildes gibt es auch bei den Kontrasten nichts zu meckern. Dunkle Szenen gibt es nur wenige, dann aber mit kräftigen Schwarzanteilen bei gleichbleibend bester Durchzeichnung, bei Tag besticht die Blu-Ray mit stimmigen Weißanteilen. Nachträglich hinzugefügtes Filmkorn ist stets präsent wahrnehmbar, was den Look der Siebziger zusätzlich untermalt, aber nie störend wirkt. In Sachen Bild also eine rundherum gelungene Veröffentlichung.
Etwas enttäuschend stellt sich dafür der Ton dar, der hier immerhin im verlustfreien DTS-HD MA 5.1-Format aufwartet, aber angesichts der starken Dialoglastigkeit des Films und den generell kaum vorhandenen Möglichkeiten für dezenten Raumklang ausschließlich im Frontbereich agiert. Hier muss man dann noch etwas am Center nachjustieren, um wirklich beste Stimmverständlichkeit erreichen zu können. Aber selbst dann kann es vorkommen, dass man angesichts der starken Dialektlastigkeit nicht jedes Wort perfekt verstehen kann. Drumherum bleibt der ausschließlich in Deutsch angebotene Ton nahezu ereignislos und verweilt bis zum Ende im Tiefschlaf. Auch für den Subwoofer gibt es nichts zu tun. Für all das liefert Der Junge muss an die frische Luft einfach keine passenden Einsatzmöglichkeiten.
Überraschend knapp geraten ist auch die Sonderausstattung der Blu-Ray. Gerade mal drei magere Featurettes mit nicht einmal fünfzehn Minuten Gesamtlaufzeit haben es auf die Scheibe geschafft. In „Julius und Hape“ wird das Verhältnis zwischen Darsteller und Vorlage etwas näher erläutert. Dabei gibt es auch ein paar Einblicke in den Castingprozess. „Hinter den Kulissen“ besteht hauptsächlich aus kurzen Interviews mit Cast und Crew, abschließend erklärt „Vom Buch zum Film“, wie Regisseurin Caroline Link die Literaturvorlage in einen der erfolgreichsten deutschen Filme der letzten Jahre verwandelt hat. Alles eher oberflächlich, wenig spektakulär und tatsächlich gemessen am Riesenerfolg an den Kinokassen auch einfach viel zu wenig, bleibt das Bonusmaterial deutlich hinter den Erwartungen zurück.
Fazit
„Buchadaptionen sind immer so eine Sache. Entweder überlang und öde, oder viel zu kurz und komprimiert. Der Junge muss an die frische Luft stellt da eine absolute Ausnahme dar. Caroline Link ist es gelungen, die Jugendjahre Hape Kerkelings mit ganz viel Witz und Feingefühl zu inszenieren. Die Laufzeit: Genau richtig. Die Darsteller: Fantastisch, allen voran natürlich (man kann es nicht oft genug betonen) Julius Weckauf als junger Hans-Peter. Die eigentlich viel zu spät erscheinende Blu-Ray liefert ein tolles Bild und gemessen am Genre auch akzeptablen, wenn auch nicht ganz einwandfreien Ton, dafür sind die Extras überraschend mau ausgefallen. Trotzdem: Wer einen der besten deutschen Filme der letzten Jahre im Regal stehen haben möchte, kann beherzt zugreifen.“
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