11-11: Memories Retold – „Der Krieg als Kunstform“

                                Getestet und verfasst von General M 

                  Seit dem 09. November 2018 erhältlich für PC, PlayStation 4 und XBOX One

11 11 memories retold 6042993Denkt man an Videospiele über den ersten Weltkrieg, denkt man wahrscheinlich zeitgleich an Battlefield 1 von Electronic Arts. Doch 11-11: Memories Retold, welches ebenfalls während des ersten großen Krieges spielt, ist kein Shooter, sondern eher eine Mischung aus Adventure und Visual Novel, welches mit einzigartigem Art Design die Geschichte zweier Soldaten jeweils feindlicher Fraktionen erzählt, die jeweils nur ein Ziel antreibt: Das Grauen irgendwie zu überleben. Verantwortlich für die Umsetzung zeigen sich die Franzosen von Digixart Entertainment, die sich die Unterstützung der legendären britischen Aardman Studios sichern konnten (bekannt für ihre Knetanimationsfilme). Das Ergebnis ist eine zutiefst berührende, aber nicht makellose Reise durch die Wirren des ersten Weltkriegs. Und von dieser Reise wollen wir heute pünktlich zum 100. Jahrestag des Kriegsendes berichten. 

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Ein Krieg – zwei Geschichten

In 11-11: Memories Retold schlüpfen wir abwechselnd in die Haut zweier ganz unterschiedlicher Menschen, die dem Kriegsgeschehen jeweils aus sehr eigenen Gründen beiwohnen. Da ist zum einen Kurt, der bisher in einer deutschen Fabrik Zeppeline zusammengebaut hat und sich kurzentschlossen freiwillig an die Front meldet, als sein Sohn Max von dort als vermisst gemeldet wird. Auf Seiten der Kanadier begegnen wir dagegen Harry, der als Kriegsfotograf Propaganda für die heimischen Zeitungen machen soll und nur in den Krieg gezogen ist, um ein bisschen Eindruck bei seiner Herzensdame Julia zu schinden. Beide erleben die Gräuel des Krieges auf verschiedenen Seiten der Westfront. 

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Zwischen Scharmützeln und Schützengräben werden Harry und Kurt auf jeweils ganz eigenen Reisen Zeugen des brutalen Kriegsalltages und der zahlreichen Einzelschicksale, die in der Schlacht um das große Ganze kaum Beachtung finden. Denn egal, aus welchen Gründen sich die Menschen dort gegenseitig massakrieren, am Ende geht es doch für jeden auch darum, lebendig nach Hause zu Freunden und Familie zurückzukehren. Und genau bei diesen Schicksalen setzt das Spiel an. Es hat wenig Interesse daran, Partei zu beziehen, sondern will eben diese Geschichten in den Vordergrund stellen. Zwischen den Feuerpausen vertreiben sich die Soldaten ihre Zeit mit Kartenspielen, Musik und Gesprächen über eine unsichere Zukunft. Denn wie es nach dem Krieg aussehen wird, weiß niemand so richtig. Als Spieler wird man Zeuge der seelischen Grausamkeit des Krieges und deren Auswirkungen auf das Individuum. 

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Es geht hier nicht um Gut und Böse, nicht um Richtig oder Falsch. Denn ganz gleich, für welche Partei und welche Sache die Soldaten kämpfen, am Ende sind sie alle doch nur Menschen. Und selbst der härteste Frontkämpfer kann gelegentlich weinend zusammenbrechen, weil er all seine Erlebnisse einfach nicht mehr anders zu verarbeiten weiß. Das alles so detailliert darzustellen, ist eine der großen Stärken des Spiels, welches sich nicht nur als virtuos inszenierte Mischung aus Adventure und Virtual Novel präsentiert, sondern allem voran als ein Plädoyer für den Frieden. 

Frontalltag

Früher oder später kreuzen sich natürlich die Wege der beiden Figuren, was die mit gerade mal 6-7 Stunden Spielzeit recht kurz ausgefallene Geschichte in neue Richtungen führt. Das Miteinander der beiden Charaktere, die ja eigentlich nach staatlicher Verordnung gegeneinander kämpfen sollten, ist besonders anfangs gar nicht so leicht, immerhin versteht Kurt kein Englisch und Harry kein Deutsch. Das sind aber längst nicht die einzigen Momente, in denen wir Zeuge werden, was Sprachbarrieren alles anrichten können. Klasse fand ich, dass Kurt und Harry konsequent in ihren eigenen Sprachen sprechen. Dabei haben die Macher zwei äußerst prominente Sprecher engagieren können, die einen ganz fabelhaften Job bei der Vertonung machen. Herr der Ringe – Star Elijah Wood spricht Kriegsfotograf Harry, während der deutsche Hollywood – Export Sebastian Koch Ingenieur Kurt seine Stimme leiht. Für alle Sprachpassagen gibt es passende Untertitel, die für hierzulande aber natürlich für die deutsche Sprache natürlich teilweise obsolet sind, sich aber leider nicht abschalten lassen. In einer Nebenrolle ist außerdem Bernd Rumpf zu hören, den man hier als deutsche Feststimme von Liam Neeson kennt. Die Vertonung ist insgesamt hervorragend ausgefallen und auch der Soundtrack ist einfach nur genial. Es kommt selten vor, dass ich der Musik auch außerhalb eines Spiels lauschen will, das ist hier aber absolut der Fall. 

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Das Gameplay selbst besteht aus eher klassischen Genremechaniken. Die meiste Zeit verbringen wir damit, jeweils vorgegebene Aufgaben zu erfüllen, um im Spiel weiter voranschreiten zu können. Als Fotograf muss Harry dabei immer wieder von seiner Kamera Gebrauch machen und ist in dem Rahmen gezwungen, auch ethnisch weniger gute Impressionen einzufangen. Kurt dagegen kann gelegentlich sein Wissen als Ingenieur zum Einsatz bringen und muss so beispielsweise kaputte Funkgeräte reparieren. Kleinere Rätsel lockern das Spielgeschehen immer wieder auf. Wirklich anspruchsvoll ausgefallen ist 11-11: Memories Retold allerdings nicht. Die jeweiligen Herausforderungen lassen sich auch mit einem Mindestmaß an Überlegung zügig lösen. Das gilt auch für kleinen Begleiteraufgaben, über die ich allerdings hier nichts verraten möchte. 

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Ferner verstecken sich im Spiel überall Collectibles, die im kompletten Set viele interessante Hintergrundinformationen zum Setting und der Handlung an sich liefern. Das ist einerseits ganz spannend, andererseits aber auch etwas inkonsequent durchdacht, denn wer nicht konsequent jedes Gebiet nach möglichen Sammelobjekten durchsucht, verpasst auch einen Teil der Story. Und das sollte eigentlich nicht sein. Immerhin führt einen das Spiel immer mal wieder an Punkte, in denen man über die weitere Handlungsweise des jeweiligen Charakters entscheiden kann, was sich besonders auf das persönliche Ende auswirkt. Man kann zum Beispiel entscheiden, wovon die Briefe handeln, die Kurt von der Front aus an Frau und Tochter schickt. Die zahlreichen Enden können dadurch sehr stark beeinflusst werden. Auch Fotograf Harry muss sich immer gut überlegen, welche seiner Fotos er nach Hause zu seinem Schwarm sendet. Der Handlungsverlauf wird durch all das kaum beeinflusst, unterstreicht aber dank persönlicher Note des Spielers, wie der einzelne mit seinen jeweiligen Kriegserlebnissen umgeht. Das stellt dann am Ende natürlich auch eine gewisse Selbstreflexion dar. Und erhöht nebenbei auch ein bisschen den Wiederspielwert, denn besonders Achievementhunter sollten sich deswegen auf mehrere Durchgänge einstellen. 

Der Krieg als Kunstform

Optisch setzt das Spiel auf einen einzigartigen Look. Statt High End – Engine wird Minimalismus im stark gefilterten Aquarell – Look geboten. Das sorgt einerseits für Wiedererkennungswert und wirkt so, als würde man ein Gemälde bespielen, hat aber auch so einige Nachteile. Zum einen ist der außergewöhnliche Stil sicher nicht jedermanns Sache, zum anderen sind Charaktermimiken, sofern überhaupt vorhanden, absolut nicht auszumachen. So muss man sich bei der Erfassung der jeweiligen Stimmungen komplett nach dem eigenen Hörvermögen richten. 

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Der Vorteil ist dafür, dass 11-11: Memories Retold auf allen Systemen butterweich läuft. Die Ladezeiten sind angenehm kurz und selbst ältere PC – Hardware hat keine Mühe, das Spiel zum Laufen zu bringen. Letztendlich ist es sehr eindrucksvoll, dass die Entwickler es geschafft haben, eine packende Geschichte zu erzählen, die sich weniger durch Optik, sondern hauptsächlich durch Inhalt in die Köpfe der Spieler brennt. Es muss eben nicht immer alles so toll aussehen, wie es sich am Ende anfühlt. Ohnehin ist das Spiel ein eindrucksvolles Experiment. Und als solches absolut gelungen, auch dank der zugänglichen, völlig frustfreien Bedienung auf allen Plattformen. 

Fazit und Wertung

ava5„Schon bei der Erstankündigung war ich extrem gespannt auf die Mischung aus packender Story und der ungewöhnlichen grafischen Aufmachung. 11-11: Retold Memories hat dabei viele meiner Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern diese besonders in Hinsicht auf Narration und Atmosphäre sogar noch übertroffen. Man muss sich für Geschichte und Charaktere interessieren, um das Spiel wirklich genießen zu können. Wer dieses Interesse aufbringt, wird trotz kurzer Gesamtspielzeit belohnt: Selten hat mich ein Spiel trotz seines geringen Anspruchs in Sachen Gameplay derart gepackt, auch weil meine persönlichen Entscheidungen zu einem befriedigenden Ende geführt haben, mit dem ich mich identifizieren konnte. Sowohl auf PC als auch auf Konsolen zählt der Titel für mich zu den Genre – Geheimtipps 2018. Interessierte sollten unbedingt einen Blick riskieren.“

Miktrotransaktionen/Pay-2-Win: 11-11: Memories Retold ist ein reiner Einzelspielertitel und bietet keinerlei Möglichkeiten, sich spielerische Vorteile gegen Echtgeld zu verschaffen. Eine Abwertung nehmen wir dementsprechend nicht vor. 

PRO:

+ Einzigartige Atmosphäre durch experimentelle Aquarell – Grafik
+ Emotionale Geschichte, die zugleich fesselt und berührt
+ Toll geschriebene Protagonisten mit sehr unterschiedlichen Motivationen
+ Keine Parteinahme: Im Krieg ist jeder gleich
+ Zahlreiche verschiedene Enden, dadurch hoher Wiederspielwert
+ Fokus auf Einzelschicksale sorgt für packende Momente
+ Zahlreiche Collectibles informieren gut über historische Hintergründe
+ Exzellente Sprecher
+ Fantastischer Soundtrack

+ Zugängliche Bedienung
+ Fairer Preis

CONTRA:

– Insgesamt streng linearer Grundverlauf
– Wenig anspruchsvolle Rätsel…
– …die sich zudem oft im Ablauf wiederholen

– Experimenteller Look verhindert optisch ausdrucksstarke Momente
– Keine Hilfestellungen, dadurch oft viel Herumgesuche nötig
– Ohne manche Collectibles bleiben Handlungselemente verborgen

                                                                 GESAMTWERTUNG:    83%

                        MRDESIGN     MRSTORY

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